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Die EU darf die Reform der Wirtschaftsprüfer nicht auf die lange Bank schieben

Nach dem Bilanzskandal bei Wirecard versprach die EU-Kommission Reformen bei den Wirtschaftsprüfern. Diese muss sie nun endlich vorlegen: Die Probleme sind klar und an Lösungsvorschlägen mangelt es nicht. 

Jahrelang hat die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY Wirecard saubere Bilanzen testiert, doch am Ende fehlten 1,9 Milliarden Euro. Als Reaktion auf den Zusammenbruch des Zahlungsabwicklers hatte die EU tiefgreifende Reformen angekündigt. Bis Ende 2022 wollte die zuständige Kommissarin Mairead McGuinness einen Gesetzesvorschlag vorlegen.

Doch nun scheint es die EU-Kommission nicht mehr eilig zu haben. Anfang Dezember erklärte McGuinness, die Kommission müsse ihre Bewertung der Probleme noch weiter vertiefen. Einen Zeitpunkt für konkrete Reformvorschläge nannte sie nicht.  

Das ist nicht nachvollziehbar. Die Probleme des von den „Big Four“ Deloitte, EY, KPMG und PwC dominierten Abschlussprüfermarktes sind hinlänglich bekannt und Lösungsvorschläge gibt es genug. Die Kommission selbst hatte eine öffentliche Konsultation durchgeführt und eine Studie zu den nach der Finanzkrise eingeführten Regeln in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse liegen seit Anfang Dezember vor und unterstreichen den akuten Handlungsbedarf:  

Marktkonzentration unverändert hoch 

Seit 2016 gibt es europaweit eine Rotationsflicht für Prüfer. Große, börsennotierte Unternehmen müssen ihren Abschlussprüfer spätestens alle zehn Jahre wechseln und dazu eine Ausschreibung durchführen. Das soll den Wettbewerb stärken und einer zu großen Nähe zwischen Prüfer und geprüftem Unternehmen entgegenwirken.  

Doch mehr als die Hälfte der Unternehmen lädt zu Ausschreibungen ausschließlich die Big Four ein. Und weil die Kosten einer Teilnahme hoch sind, beteiligen sich kleinere Prüfungsfirmen oft nicht an Ausschreibungen, selbst wenn sie eingeladen sind. Das hat Folgen: In Italien und Irland teilen die Big Four rund 90% der gesamten Prüfungshonorare unter sich auf, in Deutschland dominieren sie sogar mit 95% den Markt.  

Mehr Unabhängigkeit, weniger Wettbewerb 

Um Interessenkonflikte zu verringern, gilt europaweit eine schwarze Liste verbotener Dienstleistungen, die ein Abschlussprüfer seinen Prüfungsmandanten nicht anbieten darf. Zudem darf das Honorar aus erlaubten Beratungsleistungen 70% des Prüfungshonorars nicht übersteigen.  

Während der 70%-Deckel zu hoch ist, um die Unabhängigkeit wirksam zu stärken, schadet die schwarze Liste dem Wettbewerb. Bei großen, komplexen Unternehmen kommt ohnehin nur eine Handvoll Prüfungsfirmen in Frage. Wenn dann noch eine oder zwei wegen Beratungsleistungen von der Prüfung ausgeschlossen sind, haben Unternehmen kaum noch Auswahl. 

Kaum Sanktionen 

Zur Durchsetzung der europäischen Regeln müssen alle EU-Mitgliedstaaten die Prüfer unter Aufsicht stellen und Verstöße sanktionieren. Die Höchststrafen variieren jedoch stark und reichen von 14.300 Euro in Lettland bis 5.000.000 Euro in Portugal.  

Unabhängig von den theoretischen Möglichkeiten halten sich die Aufseher in der Praxis beim Sanktionieren zurück. So hat Zypern zwischen 2017 und 2020 überhaupt keine Sanktionen verhängt. Im selben Zeitraum wurden in der gesamten EU lediglich viermal Geldbußen von mehr als einer Million Euro ausgesprochen. Große Prüfungsfirmen zahlen solche Strafen aus der Portokasse. 

Intransparente Aufsicht 

Zurückhaltend sind die nationalen Aufseher auch beim Veröffentlichen ihrer Arbeit. Viele Aufseher publizieren bei Sanktionen nur aggregierte Zahlen oder anonymisieren die Regelbrecher. Auch die Ergebnisse ihrer eigenen Untersuchungen bei Abschlussprüfern kommunizieren sie oft nicht.  

Mit dieser Intransparenz erweisen die Aufseher den Unternehmen einen Bärendienst. Sie wollen wissen, ob ihr Prüfer sich etwas hat zu Schulden kommen lassen und wie die Aufsicht seine Qualität einschätzt. Die Geheimniskrämerei schützt nur die schlechten Prüfer. 

Vom Binnenmarkt keine Spur  

Der europäische Markt für Abschlussprüfungen besteht aus einem Flickenteppich nationaler Sonderregeln. Bei der Rotationspflicht können die Mitgliedstaaten von der EU-Vorgabe von zehn Jahren abweichen: in Bulgarien sind es sieben Jahre, in anderen Ländern bis zu 24.  

Uneinheitlich sind auch die nationalen Abgrenzungen zwischen Prüfungs- und Beratungsleistungen sowie der Deckel für erlaubte Beratungsleistungen. Sogar die Prüfer plädieren für Änderungen: Neun von zehn befürworten Harmonisierungen, um die Anwendung der Regeln zu vereinfachen und Kosten zu sparen. 

Den Prüfungsmarkt vom Kopf auf die Füße stellen 

Die vorliegenden Ergebnisse lassen keinen Zweifel, dass die nach der Finanzkrise beschlossenen Reformen bei den Wirtschaftsprüferregeln die Probleme nicht beseitigt haben. Lösungsmöglichkeiten liegen auf dem Tisch.  

Damit endlich mehr Wettbewerb stattfindet, müssen auch kleinere Prüfungsfirmen große und komplexe Mandate prüfen können. Die dafür nötige Erfahrung und Kapazität bauen sie am besten auf, indem geteilte (Shared Audit) oder gemeinsame (Joint Audit) Prüfungen unter zwingender Beteiligung einer Nicht-Big Four Prüfungsfirma zur gesetzlichen Pflicht werden.  

Ebenso müssen die Aufseher transparenter werden, um den Unternehmen bei der Prüfersuche zu helfen und vor schwarzen Schafen zu warnen. Um Interessenkonflikte wirksam zu unterbinden, sollten Beratungsleistungen für Prüfungsmandanten ausnahmsloses verboten werden. Und schließlich braucht es mehr europäische Koordinierung und Harmonisierung bei den Regeln wie auch bei ihrer Durchsetzung.  

Reformen nicht länger verschieben 

Damit die Reform noch vor den Europawahlen 2024 durchgeht, muss die EU-Kommission ihren Gesetzesvorschlag jetzt schnell vorlegen. Die letzten Reformverhandlungen dauerten mehr als zwei Jahre und gingen in die Geschichte ein als die Mutter aller Lobbyschlachten.  

Der Widerstand der etablierten Player wird auch diesmal groß sein. Das darf die Politik aber nicht schrecken. Will sie Skandale wie Wirecard in Zukunft verhindern, muss sie grundlegende Reformen anstoßen.  

In ihrem Koalitionsvertrag hat die deutsche Bundesregierung versprochen, die Unabhängigkeit der Wirtschaftsprüfung zu stärken und der hohen Marktkonzentration entgegenzutreten. Wenn sie es wirklich ernst meint, dann muss sie in Brüssel jetzt auf Reformen dringen.   

Dieser Text wurde auch als Gastbeitrag bei EURACTIV veröffentlicht. 

Foto: CC Erik Mclean, Quelle: Unsplash