Welche Rolle spielen der Gerichtshof der EU (EuGH) und das EU-Recht bei der Ausarbeitung der in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verankerten Rechte und Grundsätze? In den letzten 20 Jahren sind die Menschenrechte (oder "Grundrechte") zu einem festen Bestandteil der Art und Weise geworden, wie der EuGH das EU-Recht auslegt und anwendet. In einer Zeit, in der die Grundrechte und -werte sowohl weltweit als auch in Europa zunehmend bedroht sind, bleiben die Justizorgane eine wichtige letzte Bastion des Schutzes. Aus der Bemerkung von Richter Rosas (2007), dass der EuGH in Wirklichkeit kein Menschenrechtsgerichtshof ist, lassen sich drei kritische Fragen ableiten: Die erste Frage ist diejenige, die am meisten mit diesem Sonderthema zu tun hat. Was bedeutet die Entwicklung des EuGH - einer Institution mit Menschenrechtskompetenzen - für das allgemeine internationale Menschenrechtsrecht? Die zweite Frage greift die Feststellung von Richter Rosas auf, dass der EuGH im Gegensatz zum Straßburger Gerichtshof weitreichende gerichtliche Zuständigkeiten über die Menschenrechte hinaus hat. Was bedeutet die Entwicklung der EU-Menschenrechtsvorschriften für das EU-Recht im Allgemeinen? Wenn Richter Rosas Recht hat, dass der EuGH kein Menschenrechtsgerichtshof ist, was bedeutet das dann für sein Verhältnis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) und den anderen Organen des Europarats? Als Antwort auf diese letzte Frage wird in diesem Artikel vorsichtig das Argument vorgebracht, dass die Tatsache, dass der EuGH kein Menschenrechtsgerichtshof ist, eine robustere Rolle für die externe Überprüfung des EU-Rechts durch internationale Menschenrechtsgremien impliziert, als von Richter Rosas angenommen.
Mark Dawson, What Does it Mean to Say that the Court of Justice is not a Human Rights Institution? A Critical Appraisal, Journal of Human Rights Practice, 2022.