Politik
08.05.2015

Präsidentschaftswahlen in Polen: die politische Landschaft im Umbruch

Am Sonntag, 10.05., wählt Polen seinen Präsidenten. Die Wahl steht im Zeichen der politischen Umwälzungen im Land und gilt als wichtige Vorstufe zu den Parlamentswahlen im Oktober. In der folgenden Kurzanalyse werden drei Fragen aufgegriffen: Welche Stellung hat das Amt in Polen? Was sagt die Wahl über die innenpolitische Lage des Landes? Und: Mit welchem Ergebnis ist zu rechnen?

Hüter der Kronleuchter?

Die Stellung des Präsidenten im politischen System Polens wird in der aktuell geltenden Verfassung von 1997 geregelt. Der Präsident repräsentiert das Land in der Außenpolitik, ist Schirmherr der Streitkräfte, designiert die Regierung und nominiert Professoren, Richter und Generäle. Darüber hinaus kann er Gesetzesinitiativen vorschlagen, sie blockieren oder an das Verfassungsgericht weiterleiten.

Aus diesen Kompetenzen folgt ein zweiteiliges Bild. So wird der Präsident einerseits als „Hüter der Kronleuchter“ mit begrenztem Einfluss abgetan. Andererseits ist er ein wichtiger Vetospieler, was insbesondere dann zu erheblichen Konflikten führen kann, wenn er nicht von der Regierungspartei stammt. Dies war zuletzt zwischen 2007-2010 zu beobachten, als der damalige Präsident Lech Kaczyński die Arbeit der Regierung Tusk torpedierte, Berufungen von hohen Staatsbeamten aussetzte und seine Kompetenzen in der Außenpolitik auszuweiten versuchte. Letzteres führte 2008 zum sogenannten „Kampf um den Sessel“, als der Präsident für sich beanspruchte, Polen bei einem EU-Gipfel zu repräsentieren und damit einen Kompetenzkonflikt mit Premierminister Tusk anzettelte.

Aufgrund der potentiell paralysierenden Rolle des Präsidenten im politischen System Polens ist auch die am Sonntag anstehende Wahl bedeutend. Hinzu kommt ihre Stellung im Wahlkalender. Da bereits im Oktober ein neues Parlament gewählt wird, gelten die Ergebnisse der Präsidentschaftswahl als wichtiges Indiz für die relative Stärke der Parteien. Dies ist besonders für die nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) bedeutend, die seit 2005 keinen nennenswerten Wahlerfolg erzielen konnte.

„Polnischer Kennedy“ gegen Amtsinhaber Komorowski

Die zwei aussichtsreichsten Kandidaten sind der amtierende Präsident Bronisław Komorowski von der liberal-konservativen Bürgerplattform (PO) und Andrzej Duda, ein Europaabgeordneter der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS).

Der seit 2010 amtierende 63-jährige Komorowski zählt zu den beliebtesten Politikern des Landes. Als ehemaliger Verteidigungsminister und Parlamentspräsident bringt er auch einschlägige Erfahrung in den Feldern mit, die in den Kompetenzbereich des Präsidenten fallen. Zwar sind im Lauf des Wahlkampfs seine Zustimmungswerte von knapp 60% im Januar auf derzeit knapp 40% gesunken (07.05.: 39% in einer Umfrage von Millward Brown[1]), er gilt aber nach wie vor als stärkster Kandidat, der mit seiner besonnen Art und einem bescheidenen, zum Amt des Präsidenten passenden Slogan („Wähle Einigkeit und Sicherheit“) punkten konnte.

Sein Herausforderer, der 42-jährige Jurist Andrzej Duda, gilt als ein Hoffnungsträger, der PiS den Durchbruch in die gesellschaftliche Mitte verschaffen soll. So wurde der Kandidat als ein „polnischer Kennedy“ stilisiert, der durch gemäßigte Auftritte auch diejenigen Wähler überzeugen sollte, die gegenüber den radikalen Positionen des Parteiführers Kaczyński skeptisch eingestellt sind. Für die Dauer des Wahlkampfs traten Kaczyński selbst sowie polarisierende Figuren seiner Partei in den Hintergrund. Das Kalkül ist nur bedingt aufgegangen. So konnte sich der relativ unbekannte Duda in Umfragen von ca. 20% im Januar auf aktuell ca. 30% (07.05.: 27% in einer Umfrage von Millward Brown) steigern, liegt damit aber sogar unter den Zustimmungswerten für seine Partei.

Aufschwung der Protestparteien

Obwohl sie keine Aussicht auf Wahlsieg haben, gelten zwei Vertreter von Protestparteien überraschenderweise als Gewinner der Wahlen. Ihr Aufstieg hat zugleich das Potenzial, die politische Landschaft Polens längerfristig durcheinanderzuwirbeln.

Noch im Januar tauchte der 52-jährige Rockmusiker Paweł Kukiz in keiner Wahlumfrage auf. Derzeit kommt der politische Newcomer auf knapp 12% Zustimmung, und das mit einem Wahlprogramm, das sich auf die Forderung beschränkt, Mehrheitswahlrecht einzuführen. Klare Positionen vertritt hingegen ein anderer Protestkandidat, Janusz Korwin-Mikke, der mit ca. 5% der Stimmen rechnen kann. So schlägt der Kandidat vor, die Todesstrafe einzuführen, Polen zu einer Monarchie umzubauen und Frauen das Wahlrecht abzuerkennen. Er spricht sich auch für den Austritt Polens aus der EU aus und steht für strikt libertäre Positionen in der Wirtschaftspolitik.

Der Erfolg der Protestparteien lässt sich zweifach erklären. So ist erstens ein Teil der Bevölkerung mit der selbstreferentiellen Konfliktlinie zwischen PO und PiS unzufrieden, die die politische Auseinandersetzung der letzten Jahre dominiert. Zweitens erfreuen sich die genannten Parteien besonders hoher Zustimmung bei jungen Wählern, die die mangelnde Dynamik der bestehenden Parteien beklagen und charismatische Führungspersönlichkeiten wie Kukiz oder Korwin-Mikke schätzen, ohne sich detailliert mit deren Wahlprogrammen auseinanderzusetzen.

Da weder Komorowski noch Duda auf Ergebnisse über 50% zusteuern, die für einen Sieg im ersten Wahlgang erforderlich wären, zeichnet sich eine Entscheidung im zweiten Wahlgang ab. Für dessen Ausgang wird vieles davon abhängen, welchen der beiden Kandidaten Kukiz und Korwin-Mikke unterstützen werden. Prognosen sind hier schwer abzugeben, da sie sowohl Komorowski als auch Duda als Vertreter des „Systems“ kritisch ansehen.

Für die weitere Entwicklung der Protestparteien sind zwei Szenarien denkbar. Sie können einerseits das Schicksal ähnlicher Parteien teilen und bereits kurz nach dem Eintritt ins Parlament an einer mangelnden Kompromissbereitschaft und internen Streitigkeiten auseinanderfallen. Diese Erfahrung machte beispielsweise der ebenfalls in den Präsidentschaftswahlen vertretene Janusz Palikot, der 2011 aus dem Stegreif knapp 10% der Stimmen bekam und ins Parlament einzog, heutzutage aber als Fußnote der polnischen Politik gilt. Andererseits können die Protestparteien das „Zünglein an der Waage“ bei der nach den Parlamentswahlen im Oktober anstehenden Regierungsbildung sein. Zwar sind sie derzeit nicht bereit, miteinander eine Koalition zu schließen und sind auch gegenüber der dominierenden Parteien kritisch eingestellt, können aber mit Blick auf die Perspektive des aktiven Regierens ihre Meinung ändern und beispielsweise der PiS-Partei zur lange ersehnten Rückkehr verhelfen.

Die Linke vor dem Abgrund

Die deutlichsten Verlierer der Wahl sind Parteien des linken Spektrums, die derzeit einen spektakulären Zusammenbruch erleben. So haben nur zwei Parteien – die Palikot-Bewegung und der Bund der Demokratischen Linken (SLD) – die Hürde der für die Anmeldung eines Kandidaten erforderlichen 100.000 Unterschriften genommen. Die linke Bewegung gilt als zerstritten, orientierungslos und leidet an einem Defizit großer Führungspersönlichkeiten vom Format des langjährigen ehemaligen Präsidenten Aleksander Kwaśniewski.

Die ehemalige Regierungspartei SLD hat mit ihrer Kandidatin Magdalena Ogórek ein besonders schlechtes Ergebnis eingefahren. Die 36-jährige, politisch unerfahrene Ogórek tat vieles, um nicht nur keine neuen Wähler zu gewinnen sondern auch Stammwähler der SLD zu irritieren. So fiel sie durch Forderungen auf, „das gesamte Recht neu zu schreiben“, entgegen der Linie ihrer Partei Steuern zu senken und konnte nicht mal die Frage beantworten, für welche Partei sie stimmen würde. Parteiintern war sie so umstritten, dass die Finanzierung ihres Wahlkampfs Mitte April eingestellt wurde. Das Resultat ließ nicht lange auf sich warten: Die Zustimmung von ca. 6% im Januar schmolz auf aktuell knapp 3% zusammen.

Fazit: Kampf der Kernparteien mit unsicherem Ausgang

Aus aktuellen Umfragewerten lässt sich schließen, dass keiner der zwei aussichtsreichsten Kandidaten (Duda und Komorowski) am Sonntag die für den sofortigen Sieg erforderliche 50%-Hürde nehmen wird. Daher wird die Wahl höchstwahrscheinlich im zweiten Wahlgang am 24.05. entschieden.

Der Ausgang der Stichwahl kann von drei Faktoren abhängen. Zum einen werden sich die Protestparteien entscheiden müssen, auf welchen Kandidaten sie ihre insgesamt knapp 17-prozentige Unterstützung übertragen wollen. Diese Entscheidung wird vermutlich auch auf Grundlage von Gesprächen mit PO und PiS über mögliche Zusammenarbeit nach den Parlamentswahlen im Oktober erfolgen.

Zweitens steht vor dem zweiten Wahlgang ein TV-Duell der beiden Spitzenkandidaten an. Hier gilt Komorowski als der erfahrenere Rhetoriker. Er könnte allerdings im Duell mit dem im Vergleich zum Hardliner Kaczyński gemäßigten Duda Probleme haben, sein Kernargument unterzubringen – nämlich die vermeintliche Gefahr einer erneuten Machtergreifung durch PiS.

Drittens werden noch knapp zwei Wochen Wahlkampf anstehen, in denen die Teams beider Kandidaten auf Stimmenfang bei unentschiedenen Wählern gehen werden. Hier kann mit harten Bandagen und diversen „Jokern“ gekämpft werden, wie Donald Tusk schmerzhaft erfahren musste. So wurde ihm auf der letzten Gerade des Präsidentschaftswahlkampfs 2005 von der PiS-Partei vorgeworfen, einen „Opa in der Wehrmacht“ zu haben, was mit zu seiner Wahlniederlage beitrug. Man könnte zwar meinen, Komorowski sei nach über 35-jähriger politischer Aktivität so oft durchleuchtet worden, dass ähnliche Aktionen wenig wahrscheinlich sind. Spannend kann es dennoch bis zum Schluss bleiben.

Bild: freestocks.org, source: flickr.com