Politik
13.05.2015

Grexit sofort? Relevanz des Schuldenkalenders überschätzt

Der griechischen Regierung und der ehemaligen Troika bleibt noch Zeit bis 30. Juni, um einen Kompromiss auszuhandeln, unter dem die letzte Tranche des laufenden Rettungsprogramms – 7,2 Mrd. Euro – im Gegenzug für Reformen ausgezahlt werden kann. Ab 1. Juli stehen diese Mittel nicht mehr zu Verfügung. Dann müsste entweder eine neue Programmverlängerung vereinbart werden – mit Abstimmung im Bundestag – oder ein drittes Programm für Griechenland.

Eine vorzeitige Entscheidung im Ringen um die griechische Reformliste?

In letzter Zeit wird immer häufiger die Vermutung laut, Griechenland könne schon früher zahlungsunfähig werden und im Chaos versinken, falls es sich nicht in kürzester Zeit mit den Gläubigern verständigt. Die Berichterstattung über anstehende Schuldenrückzahlungen nimmt mittlerweile mehr Platz in den Nachrichten ein als inhaltliche Aspekte der Auseinandersetzung. Doch würde ein griechischer Zahlungsstopp wirklich zu einem vorgezogenen Showdown in den Verhandlungen führen?

Relevant sind für diese Frage in erster Linie Rückzahlungen an den Internationalen Währungsfonds (IWF), da Zahlungen an die Europäische Zentralbank (EZB) erst im Juli anstehen und Griechenland fällige kurzfristige Staatsanleihen (T-Bills) einfach neu ausgeben kann. IWF-Darlehen muss es dagegen aus seinen Barreserven begleichen.

Die nächste Zahlung an den IWF ist für den 5. Juni vorgesehen. Was würde geschehen, wenn Griechenland seine 301 Millionen Euro Verbindlichkeiten nicht begleichen könnte? Die Konsequenzen hängen von zwei Faktoren ab: Erstens stellt sich die Frage, ob die Europäische Zentralbank (EZB) in diesem Fall weitere Nothilfen an griechische Banken verbieten würde. Zweitens hätte ein Zahlungsausfall gegenüber dem IWF sicherlich auch psychologische Effekte auf Bürger und Märkte.

Konsequenzen für EZB-Nothilfen

Die EZB erlaubt derzeit die Liquididitätsversorgung griechischer Banken durch die sogenannte Notfall-Liquiditätshilfe (Emergency Liquidity Assistance, ELA). Sollte der IWF erklären, dass sich Griechenland in Zahlungsverzug befindet, stünde die EZB unter starkem Druck, weitere Hilfen zu unterbinden. Das ELA-Verfahren sieht nur eine Vergabe an solvente Finanzinstitute vor – und griechische Banken wären bei einem Staatsbankrott mit größter Wahrscheinlichkeit insolvent. Es stünde somit ein gefährliches Szenario an: Ein drohender Zusammenbruch des griechischen Finanzsystems, dem die Regierung durch Kapitalkontrollen und die Einführung einer improvisierten Parallelwährung Herr zu werden versuchen könnte.

Doch ein Blick auf den weiteren Zeitplan der Verhandlungen zeigt, dass dieser Weg momentan unwahrscheinlich ist. Eine offizielle Erklärung des IWF über den Zahlungsrückstand erfolgt erst 30 Tage nach dem ursprünglichen Zahlungsdatum. Selbst wenn Griechenland die Zahlung am 5. Juni nicht leisten könnte, hätte es also bis Juli Zeit, dies nachzuholen. Auch haben mehrere große Ratingagenturen angekündigt, ausgelassene Zahlungen an öffentliche Gläubiger nicht als Zahlungsverzug zu klassifizieren. Griechenland würde also mit großer Wahrscheinlichkeit weiterhin Liquiditätshilfen durch die EZB erhalten. Das wirklich entscheidende Datum bliebe weiterhin der 30. Juni.

Ein psychologisches Signal?

Weitaus schwieriger abzuschätzen ist die Reaktion der griechischen Bürger und der Finanzmärkte. Insofern sie den Zahlungsverzug als nur einen weiteren Akt im Verhandlungsdrama begreifen und private Gläubiger weiterhin ihre Zinszahlungen erhalten, ist relative Ruhe zu erwarten. Sollte jedoch eine Minderheit den griechischen Zahlungsstop als den Beweis werten, dass der Regierung die Kontrolle über die Situation endgültig entgleitet, könnte es zu einer neuen Runde panischer Geldabhebungen kommen, im schlimmsten Fall zu einem echten Bank-Run. Dann wäre es schwer für die EZB zu argumentieren, dass die griechischen Banken weiter solvent sind. Griechenland könnte schnell auf einen gefährlichen Pfad Richtung Kapitalkontrollen und einer Parallelwährung geraten. Allerdings würde die EZB die ELA-Hilfen wohl nur nach einer politischen Entscheidung durch den Europäischen Rat beenden (s. dazu auch das Policy Paper „Risiko Grexit“). Ein Unfallszenario ist wenig wahrscheinlich.

Viel spricht dafür, dass die griechische Regierung unter der Androhung eines tatsächlichen ELA-Endes in den Verhandlungen nicht bis zum bitteren Ende hart bleiben würde. Zwei Drittel der Griechen sprechen sich für einen Verbleib in der Währungsunion aus. Die Ausgabe improvisierter Schuldscheine würde massive Kaufkraftverluste für alle bedeuten, die Geld von der griechischen Regierung erhalten, Syriza würde also seine Kernklientel schädigen. Ein vorgezogener Höhepunkt der Verhandlungen wäre somit fast unausweichlich und die griechische Position sehr schwach.

Wie wichtig sind die IWF-Deadlines für die Verhandlungen?

Die Relevanz des griechischen Schulden-, Zins- und Tilgungskalenders wird überschätzt. Ein Zahlungsstopp Griechenlands kann zu einer sofortigen Zuspitzung der Verhandlungen führen. Von einem sofortigen Staatbankrott kann aber nicht die Rede sein. Wir müssen uns auf Verhandlungen unmittelbar vor Ablauf der Juni-Deadline einstellen. Dieses Datum ist wichtig.

Bild: CC Dalibor Tomic, source: flickr.com