Politik
19.01.2015

Die EZB nicht allein lassen!

Europa befindet sich auf dem Weg in eine Stagnationsfalle. Es gibt kaum spürbares Wachstum. Die aktuelle Inflationsrate ist bedrohlich niedrig, in weiten Teilen des Euroraums sogar negativ. Die Belastung durch die öffentliche und private Verschuldung ist angesichts nahezu stagnierender Einkommen viel zu hoch. Droht Europa ein japanisches Szenario mit jahrzehntelanger Stagnation, Deflation und rasant steigenden Staatsschulden?

Es ist die im EU-Vertrag festgeschriebene Aufgabe der EZB, genau das zu verhindern. Anders, als in Deutschland oft angenommen, ist niedrige Inflation keineswegs gut. Eine Zentralbank weiß, wie sie gegen Inflation vorgehen muss. Deflation aber kann zur unüberwindbaren Dauerkrankheit werden.

Deshalb setzen Zentralbanken das Preisstabilitätsziel auch nicht auf null, sondern – wie im Fall der EZB auf 2 Prozent. Damit ist in der Regel sichergestellt, dass die Preise nicht unter null fallen.

Doch nun ist dieses Szenario eingetreten.

Damit ist noch nicht verbunden, dass Europa sich in einer schädlichen Deflationsspirale befindet. Fallende Preise treten immer wieder auf, vor allem, wenn sie durch fallende Energie- oder Lebensmittelpreise angetrieben werden, wie das heute der Fall ist.

Aber: Jeder Kontext fallender Preise stellt ein Risiko dar. Denn beginnen Verbraucher und Investoren wegen fallende Preise, ihre Käufe oder Investitionsprojekte zeitlich nach hinten zu verschieben, weil Abwarten Geld bringt, dann droht eine echte Deflation. Und die ist gefährlich.

Eine Notenbank muss bei Deflationsrisiko handeln. In der Regel senkt sie die Zinsen. Das kann die EZB heute aber nicht mehr tun, denn die Zinsen sind bereits bei null. Was bleibt, ist entweder das Abwarten, wie es die Bundesbank und die Kritiker von Anleiheankäufen fordern, oder eine Notbehandlung.

Ob gehandelt werden muss, hängt maßgeblich vom Risiko ab, dass Europa tatsächlich in eine tiefe Rezession rutschen könnte. An dieser Frage scheiden sich die Geister. Die Bundesbank sieht kein Deflationsrisiko für den Euroraum, der internationale Währungsfonds sieht ein Risiko von 40%.

Auf die Medizin übertragen, ist das so, als würde ein Arzt überhaupt kein Krankheitsrisiko sehen, der andere Arzt aber ein recht hohes Risiko. Da wir die Zukunft nicht vorhersehen können, ist in einem solchen Kontext eine Strategie der Risikovermeidung die richtige. Kein Arzt würde verantwortlich handeln, wenn er bei ernsthaften Anzeichen einer gefährlichen Krankheit auf eine Behandlung verzichtet. Selbst wenn diese Behandlung mit einigen Nebenwirkungen verbunden ist. Und die meisten Patienten würden wohl eine Behandlung vorziehen, als einem Arzt Glauben zu schenken, der das Risiko komplett ausschließt.

Die EZB entscheidet sich für die Notbehandlung. Das ist richtig. Die Anleiheankäufe werden neue Liquidität im Euroraum frei machen. Dadurch könnten Investitionen steigen. Aber gleichzeitig dürfte auch ein großer Anteil des frischen Geldes in Immobilien fließen, in Aktien und andere Aktiva. Viel Geld wird wohl den Euroraum verlassen und damit den Euro nach unten treiben. Das ist keine schlechte Nachricht, denn der fallende Euro gibt der Exportwirtschaft Auftrieb. Der in der Regel entstehende negative Effekt durch steigende Energiekosten bleibt heute aus, weil der Ölpreis fällt.

Dennoch reichen die EZB-Maßnahmen nicht aus, um Europa auf einen Wachstumspfad zurück zu führen. Sie müssen begleitet werden durch einen Mix aus Strukturreformen und Investitionen, vor wie ich ich mit meinem Kollegen Jean Pisani Ferry vorgeschlagen habe.

Wäre Europa ein einziger Staat mit einer einzigen glaubwürdigen Regierung, dann würde es heute eine „Doppelstrategie“ geben. Die Regierung würde versuchen, ehrgeizige, wachstumsfördernde Reformen mit fiskalpolitischen Unterstützungsmaßnahmen in Form von zeitlich begrenzten öffentlichen Investitionen und/oder begrenzten Steuersenkungen in Vorwegnahme künftiger öffentlicher Ausgabenkürzungen verbindet.

Die Zentralbank würde diese Doppelstrategie begleiten und deutlich machen, dass sie, sofern die Reformen real und die Verpflichtung zur späteren Konsolidierung glaubwürdig sind, bereit ist, als „Sicherheitsinstanz für die staatliche Finanzierung“ zu fungieren (Zitat aus der jüngsten Rede von EZB-Präsident Draghi auf der Notenbankkonferenz in Jackson Hole).

Europa ist kein Staat. Aber es gibt funktionale Äquivalente. Wenn die EZB sich für den Ankauf von Staatsanleihen entscheidet, dann macht sie ihren Teil der im EU-Vertrag vorgeschriebenen Arbeit. Viele Regierungen müssen ihren Teil der Hausaufgaben noch erledigen.

Bild: CC Adam Baker, source: flickr.com