Forschung
18.03.2021

Dezentralisierte EU-Politikkoordinierung in der Krise? Der Fall Deutschland

Die Europäisierungsforschung hat keine allgemeine Konvergenz in Richtung einer zentralisierten EU-Politikkoordinierung festgestellt, obwohl dezentrale Systeme vergleichsweise langsam und ineffektiv Positionen bestimmen. Ist dieses Ergebnis haltbar angesichts der Bedrohung, Dringlichkeit und Ungewissheit, die von der Polykrise der letzten Jahre ausgeht? Die Autoren gehen davon aus, dass dezentralisierte Systeme in der Tat fortbestehen, wenn auch in einer dreistufigen reaktiven Abfolge, in der die situative Zentralisierung während der Krise die Dezentralisierung langfristig dialektisch verstärkt. Erstens nutzt das Büro des Premierministers eine Krise, um die hierarchische Kontrolle über die Stellenbesetzung zu erlangen. Zweitens wird ein federführendes Ministerium hinzugezogen, um das umfassende Fachwissen der Bürokratie zu nutzen und seine Verhandlungsmacht auf EU-Ebene zu maximieren. Drittens behält aufgrund der institutionellen Grundlagen des dezentralen Systems das federführende Ministerium und nicht das Amt des Premierministers die in der Krise geschaffenen Verwaltungskapazitäten. Dieser Artikel veranschaulicht diesen Kausalmechanismus anhand eines Vergleichs der EU-Politikkoordinierung der deutschen Regierung während der Eurozonen- und Schengen-Krise.

Christian Freudlsperger and Martin Weinrich (2021). Decentralized EU Policy Coordination in Crisis? The Case of Germany. Journal of Common Market Studies.

DOI: 10.1111/jcms.13159

Foto: CC Miguel Á. Padriñán, Quelle: Pexels