Forschung
16.07.2023

Einkommensungleichheit und politisches Vertrauen: Welche Rolle spielen Fairnesswahrnehmungen?

Politisches Vertrauen—in Form von Vertrauen in politische Institutionen—ist eine wichtige Voraussetzung für das Funktionieren und die Stabilität von Demokratien. Eine oft untersuchte Determinante des politischen Vertrauens ist die Einkommensungleichheit. Während die empirische Erkenntnis, dass Gesellschaften mit geringerer Einkommensungleichheit ein höheres Maß an Vertrauen aufweisen, gut belegt ist, bleiben die spezifischen Mechanismen, wie sich Einkommensungleichheit auf politisches Vertrauen auswirkt, unklar. Bisherige Forschung zeigt auf, dass Individuen oft verzerrte Wahrnehmungen von Ungleichheit haben. In dem Artikel argumentiert und testet Licia Bobzien das Argument, dass Menschen ihre Wahrnehmung von Ungleichheit mit ihrer Präferenz für Ungleichheit abgleichen. Wenn sie eine Lücke zwischen dem, was sie wahrnehmen, und dem, was sie bevorzugen, feststellen (= fairness gap), sehen sie ihre Einstellung zur Ungleichheit nicht politisch repräsentiert. Dies wiederum verringert das Vertrauen in politische Institutionen. Unter Verwendung von drei Wellen des ESS und des ISSP in einer länderübergreifenden Perspektive kommt sie zu dem Ergebnis, dass (1) die Wahrnehmung eines größeren fairness gaps mit einem geringeren Maß an politischem Vertrauen verbunden ist; (2) der Zusammenhang zwischen tatsächlicher Ungleichheit und politischem Vertrauen durch das fairness gap vermittelt wird; und (3) das politisches Vertrauen stärker mit Variationen in der Ungleichheitswahrnehmung als mit Variationen in den Ungleichheitspräferenzen verbunden ist. Dies deutet darauf hin, dass die Wahrnehmung von Ungleichheit ein wichtiger Faktor ist, der das Vertrauen in politische Institutionen beeinflusst.

Bobzien, L. (2023). Income Inequality and Political Trust: Do Fairness Perceptions Matter?Social Indicators Research, https://doi.org/10.1007/s11205-023-03168-9. 

Photo: CC Suad Kamardeen, Source: Unsplash