Forschung
27.01.2023

Runder Tisch. Mission impossible? Wie die Tarifbindung in Deutschland und der EU erhöht werden kann

Die Richtlinie über faire und angemessene Mindestlöhne stellt einen Paradigmenwechsel in der wirtschaftspolitischen Steuerung der EU dar. Sie markiert eine tiefgreifende Neuausrichtung weg von einer Wirtschaftswachstumsstrategie, welche die Liberalisierung der Arbeitsmärkte und die Dezentralisierung von Tarifverhandlungen priorisiert und die politische Ausrichtung der meisten EU-Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission seit mindestens 20 Jahren dominiert hat. Die Richtlinie stärkt die Governance und die Höhe der gesetzlichen Mindestlöhne in den EU-Mitgliedstaaten. In einem zweiten Schritt fordert die Richtlinie die Mitgliedstaaten auf, Tarifverhandlungen zu unterstützen und konkrete Maßnahmen zu ergreifen, um die Tarifbindung in den Ländern zu erhöhen, in denen sie weniger als 80 Prozent beträgt. Dieser zweite Aspekt ist für die Richtlinie ebenso wichtig und sogar noch ehrgeiziger als der erste. Während die gesetzlichen Mindestlöhne unter der Kontrolle der Regierungen stehen, basieren Tarifverhandlungen auf freiwilligen Verhandlungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden. Die Rolle der Regierungen und der öffentlichen Politik bei Tarifverhandlungen ist begrenzt und nur indirekt. In diesem Kommentar konzentriert sich Anke Hassel auf den letztgenannten Aspekt der Ausweitung des Geltungsbereichs von Tarifverträgen, argumentiert aber zunächst, dass das Gesamtbild einer sich ändernden EU-Wachstumsstrategie wichtig ist, um die Bedeutung der Verschiebung zu verstehen. Anschließend erörtert sie Möglichkeiten zur Stärkung der Tarifverhandlungen, wobei sie sich auf den deutschen Fall konzentriert.

Anke Hassel. 2023. Round Table. Mission impossible? How to increase collective bargaining coverage in Germany and the EU. European Trade Union Institute.

Foto: CC Brice Cooper, Quelle: Unsplash