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25.03.2024

„Eine Herausforderung und eine bereichernde Erfahrung“ – Henriette Heimbach über die Französisch-Deutsche Parlamentarische Versammlung

Henriette Heimbach ist Affiliate Policy Fellow und Expertin für die französisch-deutschen Beziehungen in Europa. Im April veröffentlicht sie ihren neuen Policy Brief über die Französisch-Deutsche Parlamentarische Versammlung (FDPV), deren erste Sitzung am 25. März 2019 stattfand. Wir sprachen wir mit ihr darüber, was das deutsche und das französische Parlament voneinander lernen können und wo die Arbeit der Versammlung am effektivsten ist.

Was war die Motivation dahinter, die Französisch-Deutsche Parlamentarische Versammlung ins Leben zu rufen, und wie funktioniert sie?

Diese junge bilaterale Versammlung ist ein ernsthafter Schritt in Richtung einer Integration der französisch-deutschen Beziehung, was eins der Motive der Gründungsakteure war. 2017 sagte eine Gruppe von französischen und deutschen Parliamentarier:innen: Wir wollen die französisch-deutsche Kooperation vertiefen und eine starke parlamentarische Verbindung schaffen. In der Vergangenheit wurden diese Beziehungen von den Regierungen dominiert.

Diese Abgeordneten nahmen 2018 an einer bilateralen Arbeitsgruppe Teil und verhandelten eine parlamentarische Einigung mit der FDPV im Kern. Mittlerweile führt dieses parlamentarische Organ 100 Abgeordnete zusammen, 50 aus dem deutschen Bundestag und 50 aus dem französischen Assemblée nationale. Sie treffen sich mindestens zwei Mal pro Jahr, um Meinungen auszutauschen und französisch-deutsche wie auch europäische Themen zu besprechen. Das Ziel der FDPV ist es, über den Elysée-Vertrag und den Aachener Vertrag zu wachen. Mehr noch, sie will deutsche und französische Positionen auf einer europäischen Ebene zusammenführen, um die europäische Integration zu stärken.

Nach  fünf Jahren und 13 Sitzungen, welche Rolle hat die FDPV für sich gefunden – ist sie eher ein Symbol oder treibt sie die Diplomatie voran?

Die FDPV ist immernoch ein ziemlich junges parlamentarisches Organ. Allerdings können ein paar Trends festgestellt werden: Sie ist zu einem wichtigen Forum für den Austausch von Parlamentarier:innen aus beiden Ländern geworden. Mit 100 Mitgliedern handelt es sich um eine recht große Gruppe an Politiker:innen, die sich regelmäßig treffen. Entsprechend haben die Mitglieder viel über das politische System und die Kultur des jeweils anderen Lands lernen können. Noch wichtiger ist, dass sie ein Verständnis für die Unterschiede und Ähnlichkeiten der politischen Positionen entwickeln konnten. Das stellt die Basis dar, um gemeinsame Lösungen für konfliktbehaftete Themen zwischen Frankreich und Deutschland zu finden.

Wie haben sich die zwei Parlamente in den vergangenen fünf Jahren gegenseitig beeinflusst?

Der deutsche Bundestag und das französische Assemblée nationale unterscheiden sich stark in ihrer Rolle und Funktion in dem nationalen System. Der Bundestag ist ein mächtiges Parlament, das unabhängig agiert und in vielen politischen Bereichen mitzureden hat. Es kann sogar über militärische Missionen entscheiden. Deutsche Abgeordnete verstehen sich selbst an erster Stelle als gesetzgebende Kontrolleur:innen und Expert:innen des jeweiligen Auschausses, dem sie angehören.

Auf der anderen Seite ist die Macht des Assemblée nationale aufgrund historischer Gründe durch die Verfassung begrenzt (z.B. parlamentarische Instabilitäten zu Zeiten der Dritten und Vierten Republik). Das französische Parlament ist beispielsweise an bestimmte politische Bereiche gebunden. Außenpolitische Beziehungen fallen in den Bereich der Aufgaben des französischen Präsidenten und das Parlament sollte sich nicht einmischen. Im Vergleich zu ihren deutschen Kolleg:innen sind französische Abgeordnete eher Generalist:innen. Sie reagieren auf die Anliegen der Wählerschaft und beschäftigen sich mit Interessensvermittlung und Repräsentation. Aufgrund dieser Unterschiede ist die parlamentarische Zusammenarbeit eine Herausforderung, aber zeitgleich eine bereichernde Erfahrung für die Abgeordneten.

Welches Ergebnis aus den Sitzungen der FDPV betrachten Sie als das nennenswerteste?

Die Handhabung der Covid-19-Pandemie in Frankreich und Deutschland ist ein gutes Beispiel dafür, wie effektiv die FDPV sein kann. Während der gesundheitlichen Krise in 2020 und 2021 hat die FDPV mehrere außerordentliche Sitzungen abgehalten, um mit den Entwicklungen auf dem aktuellen Stand zu bleiben. Sie lud die französischen und deutschen Innenminister zu einer Anhörung im Mai 2020 ein, mitten in der Pandemie. Unter dem Druck der Abgeordneten stimmten die Minister zu, die Kontrollen an der französisch-deutschen Grenze, die auf Ablehnung in der Grenzregion stießen, teilweise aufzuheben.

Das bedeutet, sie hat erfolgreich die Unzufriedenheit in der Grenzregion kanalisiert und eine ministerielle Einigung bewirkt. Auf ähnliche Weise haben die Parlamentarier:innen früh für eine europäische Lösung geworben, um mit den ökonomischen und sozialen Konsequenzen umzugehen. Sie verfolgten und unterstützten die französisch-deutsche Annäherung, die zu einer bilateralen Initiative für einen Wiederaufbaufonds im Mai 2020 führte, indem sie Beschlüsse veröffentlichten und den Wirtschaftsminister während der Entscheidungsfindung der EU anhörten.

Wie wird sich die Rolle der FDPV in den nächsten fünf Jahren entwickeln?

Die weitere Entwicklung der FDPV hängt von verschiedenen Faktoren ab. Erstens: Die Versammlung ist nun etabliert – es ist schwierig, eine Institution wieder aufzulösen, da sie ihre eigenen Dynamiken entwickelt. Allerdings lebt die FDPV von dem Commitment seiner Mitglieder und der Anerkennung durch die Regierungen. Politischer Wille und politische Persönlichkeiten sind ein entscheidender Faktor dafür, ob die Versammlung voranstolpert oder auf die französisch-deutschen Beziehungen einwirken kann.

Zweitens sollten die Regierungsanhörungen fortgeführt werden, da sie Aufmerksamkeit für das parlamentarische Organ schaffen und die Minister:innen dazu zwingen, sich mit der deutsch-französischen Dimension ihrer Arbeit zu beschäftigen. Drittens sollte die FDPV nicht davor zurückschrecken, konfliktbehaftete Themen zu diskutieren – das ist ihr Zusatzwert. Die FDPV wird unbedeutend, wenn sie sich nur mit Anliegen beschäftigt, bei denen sie übereinstimmt. Ein zukunftsweisendes Projekt wäre es, gemeinsame gesetzgebende Vorschläge zu diskutieren, beispielsweise die kohärente Übername von EU-Vorgaben in französische und deutsche Gesetze. Es besteht viel Potential für diese einzigartige parlamentarische Institution.

 

Für unseren Instagram-Kanal haben wir fünf Fakt-Kacheln über die Französisch-Deutsche Parlamentarische Versammlung kreiert. Folgt uns für weitere Einblicke in die europäische Politik!