Policy
22.10.2015

Parlamentswahlen Polen: Kommt die außenpolitische Wende?

Die Parlamentswahlen am kommenden Sonntag, 25. Oktober, könnten eine Kehrtwende in der polnischen Politik einleiten. Nach acht Regierungsjahren der liberalkonservativen „Bürgerplattform“ (PO) hat der rechtskonservative Hauptkonkurrent „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS), der bereits die Präsidentschaftswahl im Mai für sich entschieden hat, reale Aussichten auf eine Machtübernahme. Der folgende Beitrag analysiert aktuelle Umfrageergebnisse, stellt Szenarien möglicher Regierungszusammensetzung auf und untersucht, wie sich diese auf Polens Außen- und EU-Politik auswirken könnten.

Zwei Koalitionsszenarien

Gemittelte Ergebnisse aktueller Umfragen (siehe Grafik) weisen auf eine klare Dominanz der zwei großen Parteien im neuen Parlament hin: der rechtskonservativen „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) und der liberalkonservativen „Bürgerplattform“ (PO). Allerdings ist es schwer einzuschätzen welche ihrer Konkurrenten ins Parlament einziehen werden, da sie in den Umfragen knapp unter oder über der 5%-Hürde liegen, bzw. der 8%-Hürde für Wahlbündnisse (relevant für die „Vereinigte Linke“). Abzusehen ist dagegen, dass die PiS eher keine absolute Mehrheit erlangt und daher auf Koalitionspartner angewiesen sein wird.

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Geht man von einem Wahlergebnis aus wie das, welches die Umfragewerte suggerieren, zeichnet sich ab, dass nur Koalitionen mit den zwei größten Parteien möglich sind. Denkbar ist insbesondere:

  1. Eine „rechtskonservative“ Koalition der PiS mit der Kukiz-Partei oder der Bauernpartei PSL
  2. Eine „anti-PiS-Koalition“ der PO mit der „Vereinigten Linken“ (ZL), „Nowoczesna“ und PSL

Das zweite Szenario hängt allerdings von zahlreichen Annahmen ab. So müssten sowohl ZL, „Nowoczesna“ und PSL die Wahlhürde überschreiten, und sowohl die Kukiz-Partei als auch die KORWiN- Bewegung unter der Hürde liegen und nicht ins Parlament einziehen. Eine weitere Annahme ist natürlich, dass PiS keine absolute Mehrheit erlangt.

Vor diesem Hintergrund ist eher mit einer „konservativen“ Koalition der PiS mit einem Junior-Partner zu rechnen. Dennoch hängt viel von Änderungen der Wählerstimmung in der letzten Woche des Wahlkampfs ab.

Polens außenpolitische Herausforderungen

In der Außen- und EU-Politik lassen sich für Polen gegenwärtig einige bedeutende Problemfelder festmachen.

So galt Polen bislang als ein gestaltender Akteur der europäischen Außen- und Osteuropapolitik, der Initiativen wie die „Östliche Partnerschaft“ mit auf den Weg brachte. Im Laufe des Krieges in der Ukraine wurde das Land aber zunehmend zu einem Zuschauer von Entscheidungen, die seine Sicherheit beeinflussen können. Dies nicht zuletzt durch das „Normandie-Format“, in dem Deutschland und Frankreich mit Vertretern der Ukraine und Russlands verhandeln, und weder Polen noch eine EU-Institution mit am Tisch sitzt. Das wachsende Sicherheitsbedürfnis konnte das Land auch nicht immer in konkrete Handlungen ummünzen, so beispielsweise bezüglich der polnischen Forderung, die NATO-Präsenz an der Ostflanke des Bündnisses bedeutend zu stärken.

Da zudem aus einigen EU-Ländern kritische Stimmen bezüglich der Aufrechterhaltung von Sanktionen gegenüber Russland laut werden, kann es sein, dass – zum Unmut Polens – nicht einmal diese begrenzte und eher symbolische Reaktion der EU auf die aggressive Außenpolitik Moskaus vor Polens Türen gehalten werden kann.

Auch in anderen Politikfeldern konnte sich Polen gegenüber den europäischen Partnern nur bedingt durchsetzen. In der Kontroverse über die Verteilung von Flüchtlingen in Europa stand Polen mit seiner Abwehrhaltung recht einsam da, und konnte lediglich auf eine Unterstützung der Visegrad-Länder zählen. Dabei waren noch im Zuge der Euro-Krise Stimmen laut geworden, das Konzept einer Aufteilung der EU entlang einer „Ost-West“-Achse sei veraltet und überholt. Auch Polens defensive Position in der Klimapolitik weicht von der Grundhaltung vieler Mitglieder ab.

Zudem kommt, dass Kernfragen der Weiterentwicklung der EU zunehmend im Kreise der Eurozonen-Mitglieder diskutiert werden. Hier kann sich Polen als Nicht-Mitglied aber nur bedingt einbringen.

Wie würde eine neue polnische Regierung auf diese Herausforderungen reagieren? Eine Analyse der Parteiprogramme weist auf grundsätzliche Unterschiede hin.

Anti-PiS-Koalition: Kontinuität in der Außenpolitik

Sollte sich eine „anti-PiS“-Koalition durchsetzen, wäre eher mit einer Kontinuität der bisherigen Politik zu rechnen. Der erste Satz des PO-Parteiprogramms im Bereich Außen- und EU-Politik lautet: „Die Bürgerplattform war eine proeuropäische Partei und wird dies auch bleiben“. „Strategische Ziele Polens“ können nicht dadurch erreicht werden, dass man „Errungenschaften des vereinten Europas“ in Frage stellt, sondern polnische Anliegen in das „gesamteuropäische Interesse“ einfügt. Dabei soll der Zusammenarbeit mit Deutschland und Frankreich im Rahmen des „Weimarer Dreiecks“ eine besondere Rolle zukommen.

Bezüglich konkreter Entscheidungen wäre mit Schritten hin zu stärkerer Integration zu rechnen. Die Aufnahme von Flüchtlingen stellt die PO nicht grundsätzlich in Frage, mahnt aber an, dass jedes Mitgliedsland frei darüber entscheiden sollte, wie viele Flüchtlinge es aufnimmt. Zudem solle die Ursachenbekämpfung gestärkt und der Aufnahmeprozess geordneter stattfinden, beispielsweise indem man die Geflüchteten registriert und „illegale Wirtschaftsmigranten“ wieder abweist.

Ein Beitritt zur Eurozone stünde dann an, wenn sowohl Polen als auch der Währungsraum dazu bereit sind und dies „für unser Land, Gesellschaft und Wirtschaft vorteilhaft ist“. Allerdings will die PO „sämtliche Versuche blockieren, alternative europäische Institutionen zu schaffen, die ausschließlich für Eurozonen-Mitglieder reserviert sind“. Im Bereich der Klimapolitik will die PO darauf bestehen, dass die Wettbewerbsfähigkeit polnischer Unternehmen nicht durch zu ambitionierte Emissionsziele beeinträchtigt wird. Man wolle allerdings die EU-Klimapolitik nicht grundsätzlich blockieren. Bezüglich ihrer sicherheitspolitischen Ausrichtung schreibt die PO, sie wolle „Handlungen Russlands, die auf eine militärische, politische und wirtschaftliche Destabilisierung der Nachbarn“ abzielen, nicht akzeptieren und sie sehe die Sicherheit Polens dann gewährt, wenn das Land Teil einer starken EU und NATO ist. Teil dessen sollte eine permanente Stationierung von NATO-Truppen und Infrastruktur auf polnischem Boden sein.

Die möglichen Koalitionspartner („Vereinigte Linke“, „Nowoczesna“ und die Bauernpartei PSL) teilen in groben Zügen die außenpolitischen Positionen der PO. Es sticht nur hervor, dass die „Vereinigte Linke“ sich europapolitisch noch ambitionierter aufstellt. Laut des Parteiprogramms soll Polen nicht nur zu einem „günstigen Zeitpunkt“ den Euro einführen, sondern auch an der Errichtung einer „europäischen Föderation“ mitwirken. Das Land solle auch aufgrund seiner historischen Erfahrungen Flüchtlingen gründsätzlich Schutz anbieten und aufgrund der demografischen Entwicklung auch „Wirtschaftsmigranten“ gegenüber nicht gänzlich verschlossen sein, sofern dies mit der Lage auf dem Arbeitsmarkt kompatibel ist.

Rechtskonservative Koalition: Polen als potentieller „schwieriger Partner“

Das Programm von PiS ist ein außen- und europapolitischer Gegenentwurf zur Ausrichtung der PO. Einleitend heißt es: „Das derzeitige außenpolitische Hauptproblem Polens besteht in einem, von den Regierenden verursachten, Verlust von Werkzeugen zur eigenständigen Durchsetzung von Nationalinteressen (…). Polnische Außen- und Sicherheitspolitik darf sich nicht, wie derzeit, lediglich in den Mainstream supranationaler Entscheidungen einfügen und darf nicht nur im Rahmen der internationalen Organisationen handeln. Deshalb muss jetzt Abstand genommen werden von einer peripheren, selbstvernichtenden Politik der Harmonisierung unserer Ansichten mit Positionen der Stärkeren“. Was bedeutet diese Ausrichtung konkret?

Erstens würde sich die Politik einer PiS-Regierung wohl durch eine grundsätzliche Abkehr vom EU-freundlichen Kurs der bisherigen Regierung abgrenzen. So soll nach der Machtübernahme durch PiS ein „Souveränitätsgesetz“ verabschiedet werden. Dieses soll das „Primat der polnischen Verfassung über dem EU-Recht und EuGH-Urteilen bestätigen“, die „Kontrolle polnischer Organe über öffentliche Finanzen“ sicherstellen und definieren, in welchen Feldern und unter welchen Bedingungen eine vertiefte EU-Integration möglich ist. Darüber hinaus will PiS, dass Polen an keinen „Ansätzen zur vertieften Integration teilnimmt, die den polnischen Interessen widersprechen, und wird aus den objektiv ungünstigen Ansätzen zur vertieften Integration, zu denen Polen sich bereits verpflichtet hat, austreten“ (es wird nicht definiert, welche das konkret wären).

Zweitens ist dieser Trend auch in konkreten Handlungsbereichen zu erkennen. PiS spricht sich fundamental gegen die Einführung des Euro aus. Polen „wird keinen hohen Preis zahlen, um zu ungerechten Bedingungen Teil des instabilen Flusses der Eurozone zu werden“. Auch das Klimapaket soll „neu verhandelt“ werden, um die Interessen der polnischen Industrie zu stärken (wie genau eine „Neuverhandlung“ aussehen soll, wird nicht spezifiziert). Flüchtlingsfragen werden im Programm nicht aufgegriffen, folgt man aber den medialen Ausführungen des Parteiführers Jarosław Kaczyński, ist mit einer harten Abwehrhaltung gegenüber der Aufnahme jeglicher Flüchtlinge zu rechnen, deren angeblich fundamentale kulturelle Andersartigkeit man fürchtet. Kaczynski dazu: „Schauen Sie sich um in Europa, z.B. in Schweden, wo die Scharia gilt und es keine Kontrolle des Staates gibt (…) Was gibt’s in Italien? Kirchen werden übernommen, und manchmal wie Toiletten behandelt. Was ist in Frankreich los? Permanente Krawalle und Patrouillen, die die Scharia einführen“.

Drittens soll in der Außenpolitik stärker auf polnische „Eigenständigkeit“ gesetzt werden. Polens Außenpolitik dürfe nicht zu einem Element der EU-Außenpolitik verkommen, „was in Wirklichkeit bedeutet, sich den Interessen der stärksten EU-Länder unterzuordnen“. Mit welchen Partnern ein „eigenständiges“ Polen stärker zusammenarbeiten sollte, wird auch definiert. So soll die Partnerschaft mit den Visegrad-, Baltikum- und Balkanstaaten sowie den USA ausgebaut werden. Gegenüber Deutschland ist eine gewisse Skepsis zu erkennen. Die Beziehung soll verstärkt als „gleichberechtigte Partnerschaft“ geführt werden. Konkrete positive Zeichen der deutsch-polnischen Zusammenarbeit werden nicht genannt, dafür aber Probleme: Status der polnischen Minderheit in Deutschland, Rechte polnischer Elternteile in Mischehen und begrenzter Zugang zum Hafen in Szecin-Świnoujście. Dies erinnert an die erste Regierungszeit von „Recht und Gerechtigkeit“ (2005-2007), als die bilateralen Beziehungen durch das Misstrauen der Parteiführung gegenüber Deutschland geprägt waren.

Die EU-kritische Haltung der PiS wird auch vom möglichen Koalitionspartner, der Kukiz-Partei, geteilt. Diese geht in ihrer Kritik allerdings weiter. So muss nicht nur auf die Euro-Einführung verzichtet werden, sondern es soll mit polnischer Einwirkung auch eine „kontrollierte Demontage“ der Währungsunion betrieben werden. Das Klimapaket soll nicht nur neu verhandelt, sondern „einseitig aufgekündigt“ werden. In der Außenpolitik sollen zudem „weder deutsche, russische, ukrainische oder europäische“ Interessen verfolgt werden, sondern ausschließlich polnische, was eine gewisse Distanz zum grundsätzlich Ukraine-freundlichen Kurs der PiS suggerieren könnte.

Fazit

Aufgrund der Schwankungen rund um die Wahlhürde sind die Wahlergebnisse noch ungewiss und es wäre durchaus möglich, dass sich zum Schluss andere, überraschende Koalitionsoptionen eröffnen. Auch sind die Parteiprogramme derzeit auf den Wahlkampf ausgerichtet und könnten in der konkreten Umsetzung noch angepasst werden.

Dennoch zeigt die Analyse das Ausmaß der möglichen Veränderungen in der polnischen Außen- und EU-Politik nach den Wahlen am kommenden Sonntag. Es mag sein, dass eine neue PiS-Regierung nicht dasselbe Konfliktpotenzial entwickeln wird wie in der ersten Amtszeit in 2005-2007. Schließlich sollte sich in der Partei die Einsicht durchgesetzt haben, dass eine zu radikale Haltung vom polnischen Wähler durch prompte Abwahl bestraft werden kann. Eines scheint aber recht deutlich zu sein: Eine gewisse Verlässlichkeit und grundsätzliche EU-Freundlichkeit, auf die man bei Polen aus deutscher und EU-Sicht in den letzten Jahren zählen konnte, könnte einer eher bestimmten, defensiven und national orientierten Haltung des Landes weichen.