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12.03.2015

Das Superwahljahr 2015, Teil 3: Auf dem Absprung? Großbritannien und Dänemark

Innerhalb der EU zeichnen sich Großbritannien und Dänemark durch ihre starken euroskeptischen Bewegungen aus. Stehen die Zeichen auf „Brexit“? Muss Europa sich auf eine euroskeptische Allianz zwischen den beiden Ländern einstellen?

Wahlen in Großbritannien: Die Zitterpartie

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Der Ausgang der britischen Unterhauswahlen am 7. Mai 2015 ist noch vollkommen offen. In Umfragen liefern sich die Tories und Labour seit einiger Zeit ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Beide Parteien liegen momentan bei 32-34% der Stimmen. Ihnen werden jeweils etwa 260 bis 280 Sitze zugeschrieben. Beide würden somit eine absolute Mehrheit von 326 Sitzen verfehlen. Was die Sitzverteilung betrifft, sollte der Gewinner der kommenden Wahl die schottische SNP sein, die sich vor allem im vergangenen Jahr aktiv für ein unabhängiges Schottland eingesetzt hat. Umfragen zufolge könnte die SNP ihre Sitzanzahl mehr als versechsfachen und auf 37 Abgeordnete kommen. Die größten Verlierer der Wahl sind voraussichtlich die Liberaldemokraten, die seit 2010 in einer Koalition mit den Tories regieren. Ihnen droht eine Halbierung ihrer 56 Sitze.

Die europhobe Partei UKIP, die sich für einen EU-Austritt stark macht, liegt in Umfragen bei 15% und sollte drittstärkste Kraft werden. Dies ist ein großer Sprung von lediglich 3,1% bei den Wahlen im Jahr 2010. Doch da das britische first-past-the-post System kleinere Parteien benachteiligt, sollte sich das Ergebnis nur marginal in der Sitzverteilung niederschlagen. Je nach Umfrage werden UKIP zwischen einem und sechs Sitzen zugeschrieben.

Selbst in Koalition mit den Liberaldemokraten könnten nach aktuellen Prognosen weder Labour noch die Tories die absolute Mehrheit erreichen. Daher sind momentan zwei Szenarien denkbar: Option 1 wäre eine Tory-geführte Minderheitsregierung. Option 2 wäre eine Koalition zwischen Labour, der SNP und/oder den Liberaldemokraten. Neueren Umfragen zufolge hätte die genannte Dreier-Koalition mit 340 Sitzen eine komfortable Mehrheit.

Die Wahrscheinlichkeit eines „Brexits“ hängt maßgeblich von diesen Optionen ab. Wenn Labour an die Macht kommt, sollte es – mit oder ohne Koalition – kein Referendum geben, sofern keine weiteren Kompetenzen an Brüssel abgegeben werden. Die Tories haben dagegen angekündigt, im Falle eines Wahlsieges  die Mitgliedschaftsbedingungen neu zu verhandeln und spätestens bis Ende 2017 einen Volksentscheid über die EU-Mitgliedschaft zu organisieren. Hierzu müssten sie zunächst ein verbindliches Referendumsgesetz durchs Parlament bringen. Ein Entwurf wurde im Juli letzten Jahres eingebracht. Unter der prognostizierten Sitzverteilung fände sich hierfür keine Mehrheit. Das Blatt könnte sich allerdings durch Verhandlungsgeschick der Tories und mangelnde Parteidisziplin bei Labour wenden.

Auch wenn das Gesetz beschlossen würde, wäre der Ausgang des Referendums ungewiss. Umfragen zeigen, dass sich die Anzahl der Befürworter und Gegner eines Austritts seit Jahren die Waage hält. Sofern die Neuverhandlung der Mitgliedschaftsbedingungen in Aussicht gestellt wird, steht eine solide Mehrheit einer weiteren EU-Mitgliedschaft positiv gegenüber.

Angesichts dieser Hürden schätzt der euroskeptische Think Tank Open Europe die Wahrscheinlichkeit eines britischen Austritts momentan auf nur 17%. Angesichts der Unwägbarkeiten des Wahlkampfs und der Verhandlungen ist es jedoch denkbar, dass sich das Blatt noch wendet.

Dänemark: Führungswechsel im blauen Block?

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Die dänische Parlamentswahl wird spätestens am 14. September stattfinden. Derzeit regiert eine Minderheitsregierung aus Sozialdemokraten und Sozialliberalen, die von weiteren Parteien aus dem linksgerichteten „roten Block“ (im Diagramm in Rottönen gekennzeichnet) toleriert wird. Ihr steht der konservative „blaue Block“ (im Diagramm Blautöne) gegenüber, in den letzten Jahren dominiert von der liberalen Venstre. Obwohl die Regierung mit wachsender Unbeliebtheit zu kämpfen hat, gelingt es Venstre bislang nicht, davon zu profitieren. Stattdessen ist ihr innerhalb des blauen Blocks Konkurrenz erwachsen. Aktuelle Umfragen weisen hohe Zustimmungswerte für die europhobe rechte Dänische Volkspartei aus, die schon aus der Europawahl 2014 als stärkste Kraft hervorging. Die europhobe Partei im roten Block, die rot-grüne Einheitsliste, stagniert dagegen.

Da das rechte Lager gespalten ist, ist eine konservative Regierung nur mit Unterstützung der Dänischen Volkspartei wahrscheinlich. Dänemark hat einige Erfahrung mit einem solchen Modell. Minderheitsregierungen, die von ideologisch ähnlich gesinnten Parteien unterstützt werden, kommen häufig zum Einsatz. Auch die indirekte Beteiligung einer europhoben Partei an Politikentscheidungen ist kein Novum und müsste nicht zu einem radikalen Politikwechsel führen. Zwischen 2001 und 2011 tolerierte die Dänische Volkspartei eine „blaue“ Minderheitsregierung aus Venstre und der Konservativen Volkspartei und setzte einige kontroverse Maßnahmen wie verstärkte Grenzkontrollen durch, ohne dabei die Europapolitik systematisch zu torpedieren.

Sollte die Dänische Volkspartei jedoch stärkste Partei werden, würden sich vollkommen neue Fragen stellen: Würde Venstre einer Koalition als Juniorpartner beitreten? Wäre gar ein europhober Premierminister vorstellbar? Ein solcher Wahlausgang würde Dänemark in der europäischen Reformdebatte klar an der Seite eines Tory-geführten Großbritanniens positionieren.  Für den Fall eines britischen Austritts-Referendums hat die Dänische Volkspartei bereits eine ähnliche Volksabstimmung für das eigene Land gefordert.

Gleichzeitig könnte eine linke Regierung das Land in eine vollkommen andere Richtung lenken. Premierministerin Thorning-Schmidt hat angekündigt, im Falle eines sozialdemokratischen Wahlsieges das Volk über ein Ende des dänischen Opt-outs aus der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in der EU abstimmen zu lassen.

Auch wenn der Einfluss europhiler Kräfte im „blauen“ Block und euroskeptischer Kräfte im „roten“ Block nicht unterschätzt werden darf: Die dänische Parlamentswahl könnte eine Signalwirkung für die Reformbemühungen der EU entfalten, insbesondere in Zusammenhang mit dem Urnengang in Großbritannien.

Fazit

Sowohl in Großbritannien als auch in Dänemark könnten deutlich euroskeptische Politikinhalte Teil des neuen Regierungsprogramms werden. Denkbar wäre dann eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern, die EU-Reformforderungen im Sinne der Euroskeptiker mehr Schlagkraft verleiht.  Die Wahrscheinlichkeit eines solchen Szenerios sollte angesichts der knappen Umfrageergebnisse jedoch nicht überschätzt werden.