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10.02.2017

Wirtschaftswoche - Hört auf mit dem Frankreich-Bashing

Ein Interview mit Henrik Enderlein in der Wirtschaftswoche

n der Wirtschaftswoche vom 10.2., erschien ein ausführliches Interview mit Henrik Enderlein über seine Einschätzung des Wahlkampfes in Frankreich. Lesen Sie hier das Interview in ganzer Länge:

Wäre ein Sieg von Marine Le Pen der Super-Gau im deutsch-französischen Verhältnis?

Ihr Sieg wäre die Fortsetzung der schwarzen Serie für Europa – nach dem Brexit und der Wahl von Trump. Für Deutschland wäre ihr Wahlsieg sogar noch problematischer als die anderen beiden Ereignisse. Le Pen will den Euro abschaffen und die Grenzen schließen. Solche Signale aus dem wichtigsten Partnerland Deutschlands in der EU wären fatal. 

Aber der Wahlsieg würde ja noch nicht bedeuten, dass Le Pen auch in der Nationalversammlung durchregieren kann.

Das stimmt. Vom Ausgang der Parlamentswahlen im Juni hinge viel ab. Aber die präsidiale Rolle in Frankreich ist auch ohne parlamentarische Mehrheit stark. Die Verantwortung für die Außen- und Verteidigungspolitik liegt beim Präsidenten. Und sollte Le Pen im zweiten Wahlgang tatsächlich mehr als 50 Prozent der Stimmen holen, dann wäre ihre Partei auch bei der Parlamentswahl stark. Niemand sollte die Risiken ihrer Wahl verharmlosen.

Ihr konservativer Herausforderer Fillon ist durch einen Skandal geschwächt. Wäre er für uns Deutsche berechenbarer ?

Für mich wäre Fillon die Fortsetzung der lauwarmen deutsch-französischen Beziehungen der Sarkozy- und Hollande-Zeiten. Ein überzeugter Europäer ist er nicht. Vergessen wir nicht: Er hat sich einst gegen den Euro ausgesprochen. Auch für die Politik von Russlands Präsident Putin zeigt er viel Sympathie. In der Flüchtlingspolitik stellt er sich gegen eine stärkere Rolle Europas und die Aufnahme zusätzlicher Flüchtlinge in Frankreich. Kein einfacher Partner für Berlin…

Bleibt der neue Hoffnungsträger Macron.

Wo Le Pen eine geschlossene Gesellschaft anstrebt, steht Macron für ein weltoffenes und europäisches Frankreich. Er hat mutige Ideen wie die Einführung eines europäischen Finanzministers oder eines europäischen Sicherheitsrats. Gemeinsam mit Sigmar Gabriel hat Macron auch schon ehrgeizige deutsch-französische Reformpläne formuliert. Allerdings ist auch bei ihm unklar, mit welcher parlamentarischen Mehrheit er überhaupt regieren könnte.

Kann sich Deutschland in den Wahlkampf überhaupt einmischen oder ginge das nach hinten los?

Dass die Bundeskanzlerin die wichtigsten Kandidaten informell trifft, ist gut. Mich treibt die Sorge um, dass Deutschland zum Buhmann bei dieser französischen Wahl werden könnte. Schließlich verbinden die Franzosen viel von dem, was kontrovers ist, mit Deutschland: die Flüchtlingskrise, die Sparpolitik oder Strukturreformen.

Es stimmt doch, dass das Land seit Jahren Reformen verschleppt.

Nicht ganz. Ein Reformprozess hat begonnen. Nun muss er weitergehen: zum Beispiel im Arbeitsmarkt oder bei den Staatsausgaben. Aber auch Deutschland muss ja weiter reformieren. Welche Strukturreformen haben wir denn seit der Agenda 2010 durchgeführt? Denken Sie nur den enormen Reformbedarf in unserem Dienstleistungssektor, bei der Kinderbetreuung oder der Infrastruktur. Besserwisserei bringt uns nicht weiter.

Sollten deutsche Politiker dann nicht besser ganz schweigen?

Nein. Nur die Karikatur des reformunfähigen Kolosses mit veralteten Staatsunternehmen stimmt schon lange nicht mehr: Frankreich boomt bei Start-ups, in der Pharmaindustrie, bei den Luxusgütern. Wissen Sie, welche Volkswirtschaft zu den produktivsten der Welt gehört? Welches Land in Infrastrukturrankings vorn liegt? Welches Land die dynamischste demografische Entwicklung hat? Frankreich hat Stärken und Schwächen, Wir auch. Der beste Beitrag, den wir Deutsche leisten können, ist mit dem notorischen Frankreich-Bashing aufzuhören und die weltoffenen, modernen Kräfte des Landes zu stärken.