Veranstaltung
02.02.2023

Paolo Gentiloni über den Aufbau einer fairen, grünen und nachhaltigen europäischen Wirtschaft

Picture credits: Thomas Lobenwein

Der EU-Wirtschaftskommissar sprach an der Hertie School über seine Vision für ein wettbewerbsfähiges Europa sowie die Reform der EU-Schuldenregeln.

Am 30. Januar 2023 veranstaltete das Jaques Delors Centre eine öffentliche Veranstaltung im Henrik Enderlein Forum der Hertie School, bei der EU-Kommissar Paolo Gentiloni über die wirtschaftlichen und politischen Herausforderungen sprach, vor denen Europa steht - insbesondere seit dem russischen Einmarsch in der Ukraine vor fast einem Jahr. 

Christine Reh, Professorin für Europäische Politik, eröffnete den Abend und Johannes Lindner, Co-Direktor des Jacques Delors Centres, moderierte die Diskussion.  

Wie Gentiloni erläuterte, stellen hohe Energiepreise, die Industriepolitik anderer Länder sowie der Zugang zu wichtigen Rohstoffen und Technologien Herausforderungen für die Wettbewerbsfähigkeit Europas dar. "Wir können unseren Energiebedarf nicht nach Russland auslagern. Wir können unsere Sicherheit nicht in die USA auslagern. Und wir können unsere Industrie nicht nach China auslagern", sagte Gentiloni. 

Sicherheit und strategische Autonomie 

Der Kommissar räumte zwar ein, dass es zahlreiche Probleme zu bewältigen gilt, verwies aber auch auf einige Erfolge der letzten Jahre, wie die Abkopplung von Russland und die Bewältigung einer Pandemie, die möglich waren, “weil wir mit Einigkeit, Ehrgeiz und Solidarität gehandelt haben". 

Der Kommissar betonte auch, dass Europa mehr und vor allem “besser" für die gemeinsame Verteidigung ausgeben müsse. Darüber hinaus sollte das Streben nach mehr europäischer Sicherheit und Autonomie laut Gentiloni auch auf die europäische Wirtschaft generell ausgeweitet werden. 

Grüne Wende und Industriepolitik 

Gentiloni wies darauf hin, dass die Europäische Kommission in Kürze ihre Vorschläge für einen Industrieplan für den Grünen Deal annehmen werde. Dies sei der Beitrag der Kommission zu der Diskussion darüber, wie auf den Inflation Reduction Act (IRA) der USA zu reagieren sei. Denn der IRA verleiht Amerikas grünem Wandel einen historischen Schub und ist eine Herausforderung für die europäische Industrie, da er starke Anreize für Unternehmen bietet, ihre Produktion in den Vereinigten Staaten anzusiedeln.  

"Der IRA kommt zu einigen Nachteilen hinzu, die wir haben", sagte Gentiloni und verwies auf die höheren Energiepreise in Europa. Eine Industriepolitik sei sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene erforderlich und dafür könnten die EU-Beihilfevorschriften angepasst und weitere Finanzmittel bereitgestellt werden. 

Gentiloni sprach auch von der Gefahr einer zunehmenden Fragmentierung des EU-Binnenmarktes, wenn die Regeln für staatliche Beihilfen ohne finanzielle Unterstützung angepasst würden. Wohlwissend, dass mehrere EU-Mitgliedstaaten einer weiteren gemeinsamen Finanzierung ablehnend gegenüberstehen, betonte er jedoch: "Lassen Sie uns ganz von vorne anfangen und die Ziele, den Bedarf und die Bedürfnisse definieren. Und dann werden wir zur Definition der möglichen gemeinsamen Finanzierung kommen". 

Reform der EU-Schuldenregeln 

In Bezug auf die Reform der EU-Schuldenregeln ist der Kommissar der Ansicht, dass diese an die neuen Herausforderungen angepasst werden sollten. "Die Vorschläge, die wir im November vorgelegt haben, zielen darauf ab, die Ziele der Sicherung der Schuldentragfähigkeit und der Förderung von Wachstum und Investitionen miteinander zu vereinbaren", sagte er. 

Eine Einigung über diese Reform sei wichtig für die Stärkung der Wirtschafts- und Währungsunion, die die wirtschaftliche Integration Europas vorantreibe, fügte Gentiloni hinzu. 

Während Johannes Lindner die Steuerreformpläne als "mutig" bezeichnete, da sie der Europäischen Kommission eine ziemlich mächtige Position bei der bilateralen Aushandlung von Schuldenstrategien verschaffe, betonte Gentiloni, dass die Stärkung der nationalen Eigenverantwortung eine entscheidende Neuerung sei. Er zeigte sich optimistisch, dass eine Einigung über die Steuerreform auf der Grundlage des Kommissionsvorschlags erzielt werden könne. 

Fotos von Thomas Lobenwein
 

Die vollständige Aufzeichnung dieser Veranstaltung sehen Sie hier: