Veranstaltung
16.02.2023

Hat Europa die Phase finanzieller Instabilität hinter sich gelassen?

Hochrangige Redner:innen diskutierten den aktuellen Zustand des EU-Finanzsystems und gaben einen Ausblick auf künftige Herausforderungen.

Am 14. Februar 2023 veranstaltete das Jacques Delors Centre der Hertie School eine öffentliche Veranstaltung zu der Frage, ob Europas Finanzsystem seine Fragilität überwunden hat. An der von Katharina Gnath (Bertelsmann Stiftung) moderierten Podiumsdiskussion nahmen Gabriel Makhlouf (Gouverneur der Zentralbank von Irland), Moritz Schularick (Professor an der Universität Bonn), Cornelia Woll (Präsidentin der Hertie School) und Carsten Frank (Referatsleiter für Schulden- und Staatsanleihenmärkte im Bundesministerium der Finanzen) teil. Johannes Lindner (Co-Direktor des Jacques Delors Centre und Henrik Enderlein Fellow) eröffnete die Veranstaltung mit einer kurzen Begrüßungsrede.

Institutionelle Verbesserungen nach der Krise

In seiner Ansprache betonte Gouverneur Gabriel Makhlouf, dass seine Antwort auf die Kernfrage der Veranstaltung kurz gesagt ein "Ja und Nein" sei. Er würdigte die Maßnahmen, die nach der großen Finanzkrise 2007-2008 ergriffen wurden, um das EU-Finanzsystem widerstandsfähiger zu machen. Makhlouf verwies auf die institutionellen Verbesserungen, die sicherstellen, dass Finanzrisiken nun auf europäischer Ebene überwacht und beaufsichtigt werden, allen voran die Einrichtung des Europäischen Ausschusses für Systemrisiken, des Einheitlichen Aufsichtsmechanismus und des Einheitlichen Bankenabwicklungs-mechanismus.  Ergänzt durch strengere Liquiditäts- und Kapitalanforderungen für einzelne Banken sowie makroprudenzielle Werkzeuge für Risiken, die das Bankensystem als Ganzes bedrohen, wurden mit dieses Maßnahmen die drängenden Schwachstellen im europäischen Bankensektor angegangen.

Das entschiedene Eingreifen der Europäischen Zentralbank und das überarbeitete Regelwerk sorgten dafür, dass das Finanzsystem den Herausforderungen durch Pandemie und Krieg in der Ukraine standhielt. Makhlouf unterstrich die bereits verabschiedeten Reformen, betonte aber auch, dass es noch viel zu tun gebe. Ohne eine europäische Einlagenversicherung bleibe die Bankenunion unvollständig. Die Digitalisierung und das Aufkommen von Kryptowährungen stellen Finanzinstitute wie Regulierungsbehörden vor neue Herausforderungen. Und nicht zuletzt berge der wachsende Schattenbankensektor ein systemisches Risiko, das die Einrichtung eines speziellen makroprudenziellen Rahmens erfordere. "Der Nichtbankensektor sollte für die Finanzaufsichtsbehörden auf der ganzen Welt oberste Priorität haben", sagte Makhlouf und verwies auf die makroprudenziellen Maßnahmen, welche die irische Zentralbank kürzlich ergriffen hat.

Ungehaltene Versprechen und endemische Instabilität

Moritz Schularick antwortete auf die Fragestellung der Veranstaltung mit einem klaren "Nein" und erinnerte das Publikum daran, dass mit der Liberalisierung der Finanzmärkte zwei Versprechen verbunden waren: Erstens würden tiefere Märkte zu mehr Stabilität führen, und zweitens bedeute eine effizientere Kapitalallokation mehr Wachstum. Rückblickend wurden diese Versprechen laut Schularick nicht eingehalten. Mit Verweis auf das kürzlich von ihm herausgegebene Buch "Leveraged" betonte er, dass mit zunehmender Verschuldung das Risiko für die Finanzstabilität endemisch geworden sei. In Bezug auf die Rolle der Zentralbanken betonte Schularick, dass diese "immer schneller rennen müssen, um nicht zurückzufallen" und den Zusammenbruch des Finanzsektors zu verhindern. Schularick betonte das Versagen der Regierungen bei der Bekämpfung zunehmender Ungleichheit und wies darauf hin, dass die Kapitalanhäufung der Reichsten nicht nur den sozialen Zusammenhalt gefährde, sondern auch die finanzielle Fragilität verstärke.

Politische Instabilität als zusätzlicher Faktor

In der anschließenden Podiumsdiskussion äußerte Cornelia Woll die Besorgnis, dass "die politische Fragilität angesichts der immer stärker eingeschränkten öffentlichen Haushalte die finanzielle Fragilität noch verstärkt". Die Präsidentin der Hertie School fügte hinzu, dass die Zentralbanken in einer Welt, in der die Regierungen nicht in der Lage sind, sich auf eine Reduzierung der Verschuldung oder ein aktiveres finanzpolitisches Handeln zu einigen, zunehmend zum Hauptakteur geworden sind. Ein Großteil der Macht sei von demokratisch legitimierten finanzpolitischen Entscheidungen auf die Zentralbanken übergegangen. Diese Entwicklung werfe neue Fragen für die Rechenschaftspflicht der Zentralbanken auf, die bei der Erfüllung ihres Mandats auf ihre Unabhängigkeit pochen. Die Relevanz dieser Fragen und die sich entwickelnde Rolle der Zentralbanken wurden nicht nur von Schularick, sondern auch von Makhlouf betont, der die Unabhängigkeit als Garant für den Erfolg der Zentralbanken sieht.

Carsten Frank betonte, dass die nach der Finanzkrise durchgeführten Regulierungsreformen die Stabilität des Finanzsystems erheblich verbessert haben, insbesondere die makroprudenzielle Analyse und die makroprudenziellen Politikinstrumente. Gleichzeitig hätten jedoch sowohl der private als auch der öffentliche Sektor ihre Verschuldung in den letzten Jahren weiter erhöht. Laut Frank bedeutet das Versäumnis, die Verbindung zwischen Banken und Staaten durch eine angemessene regulatorische Behandlung von Staatsanleihen weiter zu reduzieren, dass „Ansteckungsrisiken fortbestehen“. Moritz Schularick teilte diese Einschätzung und betonte, dass die Entkoppelung von Banken- und Staatsrisiken der Stabilität der Eurozone sehr zuträglich wäre. Um das zu erreichen, sei eine europäische sichere Anleihe wünschenswert. 

In der Fragerunde zeigten die Zuhörer:innen großes Interesse am Aufkommen von Kryptowährungen. Gouverneur Makhlouf verwies auf die neue EU-Verordnung für Stablecoins und warnte, dass ungesicherte Kryptowährungen vor allem für Anleger ein Risiko darstellen. Professor Schularick wies seinerseits auf den Immobilienmarkt als weitere potenzielle Gefahr für die Finanzstabilität hin und betonte, dass steigende Zinsen die Fragilität erhöhten.

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