Politik
14.09.2015

#SOTEU: Der Kommissionspräsident als Feuerwehrmann und Architekt

In seiner ersten Rede zur Lage der Europäischen Union legte Jean-Claude Juncker am 9.9.2015 seine politischen Prioritäten dar. Valentin Kreilinger erläutert in diesem Blogpost, wie sich diese 2010 eingeführte Tradition in das institutionelle System der EU einfügt und welche die Rolle die Rede des Kommissionspräsidenten spielt.

Jean-Claude Juncker – Feuerwehrmann und Architekt

Die „State of the Union“-Rede wurde von José Manuel Barroso eingeführt und bietet dem Kommissionspräsidenten die Möglichkeit, eine politische Grundsatzansprache zu halten und anschließend in einer Debatte dem Europäischen Parlament Rede und Antwort zu stehen. Wie von Jean-Claude Juncker zu Beginn seiner Rede angesprochen, ist diese in der inter-institutionellen Vereinbarung zwischen Parlament und Kommission aus dem Jahr 2010 verankert:

„Jedes Jahr wird in der ersten Tagung im September eine Debatte über die Lage der Union stattfinden, in deren Verlauf der Präsident der Kommission eine Ansprache hält, in der er die Bilanz des laufenden Jahres zieht und einen Ausblick auf die künftigen Prioritäten für die folgenden Jahre gibt. Zu diesem Zweck wird der Präsident der Kommission dem Parlament parallel dazu schriftlich die wichtigsten Elemente darlegen, an denen sich die Vorbereitung des Arbeitsprogramms der Kommission für das folgende Jahr orientieren wird.“ (Rahmenvereinbarung über die Beziehungen zwischen dem Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission, Anhang IV, §5.)

Aktuelle Problemfelder und Lösungsansätze der Kommission

Junckers Rede stand ganz im Zeichen der Flüchtlingskrise und er präsentierte dazu seine Vorschläge. Als weitere Prioritäten für die Arbeit  der Kommission im nächsten Jahr und in den verbleibenden vier Jahren nannte er: die

Generell zeigte sich der Kommissionspräsident als Verfechter der „Gemeinschaftsmethode“ und versucht, seine Institution gegenüber den Mitgliedstaaten im Rat zu stärken. Er war dabei – um eine Formel von Jacques Delors aufzugreifen – sowohl „Feuerwehrmann“ als auch „Architekt“: Jean-Claude Juncker versucht, akute Krisen zu lösen bzw. zu löschen und gleichzeitig an vielen Stellen das europäische Integrationsprojekt weiterzubauen. Insbesondere in den Passagen zur Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion wird deutlich, dass Jean-Claude Juncker (dem Fünf-Präsidenten-Bericht folgend) die Architektur des Euro-Raums stärken und vollenden will.

Institutionelle Prozesse werden angestoßen

Direkt nach der Rede präsentierten Frans Timmermans, der erste Vizepräsident der Europäischen Kommission, und der zuständige Kommissar Dimitris Avramopoulos das von Juncker angekündigte Maßnahmenpaket als Reaktion auf die Flüchtlingskrise. Darin werden unter anderem die Notumsiedlung von 120 000 Flüchtlingen aus Griechenland, Ungarn und Italien sowie ein dauerhafter Umsiedlungsmechanismus vorgeschlagen.

Für das Europäische Parlament und seine Fraktionen bietet die auf die „State of the Union“-Rede folgende Plenardebatte Möglichkeiten zur Profilierung. Sie stellt auch einen wichtigen Referenzpunkt für die eigenen Bestrebungen des Parlaments, im Gesetzgebungszyklus die Agenda zu setzen, dar. Die Rede selbst dient als Richtschnur bei der Erstellung des Arbeitsprogramms der Kommission für 2016. Interessanterweise haben laut einer Auswertung der Tweede Kamer der Niederlande auch nationale Parlamente begonnen, das Arbeitsprogramm der Kommission (2015) zu analysieren und versuchen, ihr Vorgehen zu koordinieren.

Ein präsidiales Element im politischen System der Europäischen Union

Obwohl viele EU-Mitgliedsstaaten Reden „zur Lage der Nation“ von ihren Regierungschefs oder Staatsoberhäuptern kennen – Jean-Claude Juncker verwies beispielsweise darauf, dass er als luxemburgischer Premierminister solche Reden gehalten habe – kann die Rede als ein präsidiales Element im politischen System der EU gesehen werden: Ihr Vorbild ist die „State of the Union“-Rede des US-Präsidenten, die normalerweise im Januar stattfindet.

Im politischen System der EU trägt die Rede dazu bei, die Position des Kommissionspräsidenten zu stärken. Jean-Claude Juncker ist es in seiner ersten Rede zur Lage der Europäischen Union gelungen, nicht nur „Feuerwehrmann“ und „Architekt“ zu sein, sondern auch „Polizist“, der die Staats- und Regierungschefs auf ihre Verantwortung hinweist. Gleichzeitig hat er Lösungsansätze aufgezeigt und institutionelle Prozesse angestoßen. Als nächster Schritt wird das neue Arbeitsprogramm für 2016 – wie im laufenden Jahr – die Initiativen und Aktivitäten der Europäischen Kommission vorzeichnen.

Dr. Valentin Kreilinger arbeitete zuvor für das Jacques Delors Centre.