Politik
20.03.2015

Ratsbeschlüsse zur Energieunion: Punktsieg für den marktwirtschaftlichen Ansatz beim Erdgaseinkauf

Die Macht von Gasprom auf den Gasmärkten einiger EU-Länder nutzte Donald Tusk im vergangenen Jahr als Aufschlagspunkt für die Wiederbelebung der Debatte rund um die Energieunion. Die Diskussion wurde seitdem häufig auf die Idee eines gemeinsamen Gaseinkaufs reduziert. Die gestrigen Schlussfolgerungen des Rats geben jedoch dem Markt Vorrang – und stellen politische Lösungen hinten an.

Zentrale Ratsbeschlüsse zum Erdgasmarkt

  • Voranbringen von Infrastrukturprojekten, einschließlich von Verbundnetzen, insbesondere zur Anbindung von Regionen in Randlage
  • Vollständige Umsetzung und strikte Durchsetzung bestehender Rechtsvorschriften im Energiebereich
  • Gewährleistung der vollständigen Einhaltung des EU-Rechts bei allen Abkommen über den Gaseinkauf bei/mit externen Lieferanten, insbesondere durch mehr Transparenz dieser Abkommen, aber…
  • … Sicherstellung der Vertraulichkeit sensibler Geschäftsinformationen
  • Prüfung von Optionen für Mechanismen zur freiwilligen Bündelung der Nachfrage in voller Übereinstimmung mit den Wettbewerbsregeln der WTO und der EU
  • Nutzung aller außenpolitischen Instrumente, um strategische Energiepartnerschaften mit immer wichtiger werdenden Erzeuger- und Transitländern aufzubauen

Die Diskussion zur Energieunion drehte sich seit dem Vorstoß von Donald Tusk, damals noch Ministerpräsident Polens, für einen gemeinsamen Gaseinkauf der EU-Mitgliedsstaaten im letzten Frühjahr rund um das Thema Erdgas – sehr zum Verdruss der Fürsprecher einer europäischen Energiewende. Tusk argumentierte, die Abhängigkeit der EU von russischen Gaslieferungen sei schlicht zu groß. Außerdem nutze der staatliche russische Gaskonzern Gasprom seine Marktmacht in Osteuropa, um zu hohe Preise durchzusetzen, die obendrein auch nach politischen Gesichtspunkten bestimmt würden. Die Lösung lautete für Tusk, die Mitgliedsstaaten müssten ihr Gas künftig gemeinsam einkaufen, um fairere Preise und Vertragsbedingungen zu erzielen, etwa eine Loslösung der Gaspreise von der Ölpreisentwicklung.

Tusk bekam nicht nur von Umweltschützern, für die der Fokus der Debatte zu stark auf fossilen Energieträgern lag, Gegenwind, sondern auch von Anhängern des marktbasierten Ansatzes beim Ressourceneinkauf. An vorderster Stelle war dies der ehemalige EU-Energiekommissar Günter Oettinger, der wissen ließ, dass es mit ihm keinen „politisch verfügten Einheitspreis“ beim Gaseinkauf geben werde – eine Position, die er im Sommer letzten Jahres allerdings abschwächte. Das Lager der „Marktanhänger“ sieht die Abhängigkeit der EU von russischen Gaslieferungen zwar als zu hoch an, leiten jedoch andere Handlungsempfehlungen daraus ab.

Keine Marktpreise ohne Wettbewerb

Die EU hat seit 1998 ein ambitioniertes Liberalisierungsprogramm für den Gasmarkt entwickelt (Vgl. Abbildung 1). Kernanliegen der Liberalisierung waren:  die Gasmärkte zu öffnen, Dritten Zugang zu Pipelines zu geben (1. Energiepaket, 1998), für die Neutralität der Regulierungsbehörden (2. Energiepaket, 2003) und schließlich der Übertragungsnetzbetreiber (3. Energiepaket, 2009) zu sorgen.

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Die ersten beiden Energiepakete führten tatsächlich dazu, dass neue Anbieter auf den europäischen Gasmarkt drängten. Insbesondere durch den Zustrom von Flüssiggas (LNG), das nicht pipelinegebunden ist, bildeten sich Trading Hubs heraus, an denen sich Gaspreise nach Angebot und Nachfrage bilden. Dies war ein bedeutender Schritt weg vom traditionellen Ölpreis-gebundenen Modell. Mit dem Lissabon Vertrag erhielt die EU dann Kompetenzen für Energiepolitik. In der Folge wurden mit dem Dritten Energiepaket Unternehmen entflechtet („Unbundling“), um sicherzustellen, dass Gasverkäufer keine Pipelines auf EU-Territorium besitzen, aus Sorge sie könnten Wettbewerbern den Zugang zu diesen verwehren. Das Dritte Energiepaket kann bereits als eine Reaktion auf die Marktmacht des Unternehmens Gasprom gesehen werden, das in den osteuropäischen Mitgliedstaaten über die Gasinfrastruktur aus Sowjetzeiten verfügen konnte.

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Die Marktliberalisierung sollte eigentlich im Jahr 2014 abgeschlossen werden, dieser Termin konnte allerdings nicht eingehalten werden. Insbesondere in Zentral- und Osteuropa schreitet die Umsetzung der EU-Regulierung nur langsam voran. Die Folge ist ein europäischer Gasmarkt, in dem vor allem die nordwesteuropäischen Teilmärkte über liquide Trading Hubs und Wettbewerb durch Gas aus mehreren Quellen verfügen, während in Zentral- und Osteuropa Gasprom teilweise als einziger Anbieter die nationalen Gasmärkte dominiert und dementsprechend höhere Preise ansetzen kann. Abbildung 2 zeigt den Anteil der Lieferungen von Gasprom am Gaskonsum in den EU-Mitgliedsstaaten im Jahr 2013 und den jeweiligen Preis für Gasproms Lieferungen im Jahr 2013.

Hinzu kommt, dass auch die physische Verflechtung der Gasmärkte in Westeuropa weit höher ist als in Zentral- und Osteuropa, wo viele Mitgliedstaaten nach wie vor ausschließlich „an der Leitung von Gasprom hängen“. Abbildung 3 zeigt die grenzüberschreitenden Pipeline-Kapazitäten in die EU-Mitgliedstaaten im Jahr 2013 und die Preise für Gasproms Gaslieferungen in die EU-Mitgliedstaaten im Jahr 2013.

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Angesichts der stockenden Marktliberalisierung, Diversifizierung und des nur schleichenden Infrastrukturausbaus vor allem in Zentral- und Osteuropa, ist die Forderung nach einem gemeinsamen Gaseinkauf für alle EU-Mitgliedstaaten nicht zielführend. Dort, wo die Marktliberalisierung erfolgte, etwa in Deutschland, funktioniert der Wettbewerb weitgehend und Versorger wie E.ON konnten in Nachverhandlungen mit Gasprom niedrigere Preise durchsetzen, die auch zum Teil an die Preisentwicklung an Trading Hubs gekoppelt sind. Die Ziele, die Tusk durch politisches Eingreifen erreichen will, können also auch auf marktwirtschaftlichem Weg erreicht werden.

Die bestehenden Regeln reichen, sie müssen nur umgesetzt werden

Es ist daher kein Ausdruck mangelnder Solidarität, dass sich einige Mitgliedsstaaten, darunter laut Medienangaben vor allem Deutschland, gegen die Einführung eines verpflichtenden gemeinsamen Gaseinkaufs gesperrt haben. Ein solcher verpflichtender Mechanismus würde dem seit 1998 verfolgten marktwirtschaftlichen Ansatz im Gasbereich widersprechen. Im Ratsbeschluss ist nur noch von der Prüfung von Optionen zur freiwilligen Nachfragebündelung die Rede, die, so wird betont, mit EU- und WTO-Regeln übereinzustimmen habe. Auch der Vorschlag zur Offenlegungspflicht von Verträgen zum Gaseinkauf wurde stark abgeschwächt. Der Ratsbeschluss kann so verstanden werden, dass hiervon ausschließlich intergouvernementale Abkommen betroffen sind, privatwirtschaftliche Verträge hingegen nicht offengelegt werden müssen. Eine Offenlegung wäre mit dem marktwirtschaftlichen Ansatz nur schwer zu vereinbaren gewesen.

Der Rat hat stattdessen zurecht den Fokus auf die Umsetzung der bestehenden Regelungen gesetzt – das gilt sowohl für die Pflichten der Mitgliedsstaaten zur Umsetzung der Binnenmarktregulierung, als auch für externe Gaslieferanten wie Gasprom, die nach dem Dritten Energiepaket keine Gastransport-Infrastruktur in der EU besitzen dürfen. Die Einstellung des South Stream Projektes hat gezeigt, dass diese Regeln ausreichend sind, um Gasprom in die Schranken zu weisen und dass die Europäsiche Kommission auch gewillt ist, sie umzusetzen. Positiv ist auch, dass der Rat erneut seinen Willen betont, das Problem der mangelnden Vernetzung der europäischen Gasmärkte zu beheben und die Diversifizierung voranzutreiben. Hierzu sollen etwa strategische Energiepartnerschaften mit externen Lieferanten, unter anderem Aserbaidschan, Kasachstan und Algerien, abgeschlossen werden.

Das kleine Litauen zeigt mit einer marktbasierten Lösung, wie Unabhängigkeit von Russland funktionieren kann: Seit letztem Oktober verfügt es über ein Flüssiggasterminal mit dem Namen „Independence“. Das Gas kann nun per Tanker von verschiedensten Lieferanten angeliefert werden – zum Weltmarktpreis.

Ein Kommentar von Philipp Offenberg, er ist Berater des Präsidiums der Europäischen Kommission im European Political Strategy Centre, davor arbeitete er für das Jacques Delors Centre. 

Bild: CC Tom Page, Quelle: flickr