Politik
23.02.2016

Maidan Jubiläum: Ohne die EU geht es nicht

Vor zwei Jahren weckte die Flucht des ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch Hoffnungen auf einen Neuanfang in der Ukraine. In Janukowitschs Villa (siehe Bild), inzwischen als Nationales Museum der Korruption allgemein zugänglich, fanden Aktivisten neben Brotlaiben aus Gold, einem Pfauengehege und einem Piratenschiff auch Tausende Seiten von Dokumenten, die der Hausherr zu vernichten versucht hatte. Diese Dokumente, die aus dem Wasser gerettet und ins Internet gestellt wurden, gaben Zeugnis für eine jahrelange Korruptionsherrschaft, die fortan bekämpft werden sollte.

Die Erwartungen an einen Wandel hin zu den Standards westlicher Regierungsführung waren dementsprechend hoch. Die neue ukrainische Regierung versprach insbesondere eine «De-Oligarchisierung» des Landes.

Zwei Jahre später kann von einem halbvollen Glas geredet werden. Die Verdienstquellen und Einflussmöglichkeiten der Oligarchen wurden zumindest in Teilen beschränkt. Öffentliche Vergabeverfahren erfolgen nun teilweise über eine mit Transparency International entwickelte Internetplattform. Der Energiehandel ist transparenter, und die Einflussnahme privater Akteure auf die Politik wurde erschwert durch neue Gesetze zur Parteienfinanzierung, Transparenzregeln für Politiker und hohe Beamte sowie die Schaffung von zwei neuen Antikorruptionsbehörden.

Bedenkt man, dass diese Fortschritte im Kontext eines kostspieligen Kriegs im Donbas und einer tiefen Rezession erzielt wurden, kann sich die Leistung durchaus sehenlassen.

Doch nun kommt der Kampf gegen die alten Strukturen in die entscheidende Phase. Aus Protest gegen «Reformsabotage» gaben in den letzten Monaten vier Minister ihre Ämter auf. Zuletzt trat der Wirtschaftsminister Abromavicius zurück und beschuldigte einen Vertrauten des Präsidenten Poroschenko explizit, Reformen der Staatsunternehmen zu torpedieren. Zum Ärger der Bevölkerung wurden bisher auch die Staatsanwaltschaft und das Gerichtswesen von Reformen verschont. Dies schlägt sich in einem tiefen Misstrauen gegenüber der Politik nieder. Nach einer Umfrage des International Republican Institute meinen über 70 Prozent der Ukrainer, das Land entwickle sich in die falsche Richtung. Am 16. Februar entging Ministerpräsident Jazenjuk nur knapp einem Misstrauensvotum.

Insgesamt bleibt offen, ob die erzielten Fortschritte nachhaltig sind und ob die ukrainische Führung bereit ist, in ihren Reformbestrebungen über «tiefhängende Früchte» hinauszugehen. Besonders brisant sind die Reformen im Rahmen der Minsker Friedensverträge. Der Aufruf, «beide Seiten» des Konflikts sollten ihren Verpflichtungen nachkommen, ist wichtig. Doch einerseits dient dieser Aufruf der russischen Seite, um die ständige Anheizung des Kriegs im Donbas zu relativieren. Andererseits ist die Forderung, den von Separatisten besetzten Gebieten einen Sonderstatus in der Verfassung einzuräumen, eine eigentliche «Giftpille». Eine ukrainische Regierung, die sich in der gegenwärtigen politischen Lage dafür starkmachte, würde ihr eigenes Todesurteil signieren und ein politisches Chaos vom Zaun brechen.

Für die EU und den Westen bedeutet das dreierlei: Erstens müssen sie der russischen Rhetorik weiterhin mit diplomatischer Härte und Sanktionen begegnen. Zweitens müssen sie politischen Druck auf die Ukraine ausüben, damit sie den Minsker Abmachungen so weit wie möglich nachkommt. Drittens müssen sie durch die entschiedene Unterstützung der ukrainischen Reformkräfte dazu beitragen, dass alle Punkte des Abkommens ohne eine weitere Destabilisierung umsetzbar werden.

In dieser entscheidenden Phase des Reformprozesses sollte die EU bereit sein, ihre Unterstützung auszuweiten. Im Rahmen der Nachbarschaftspolitik sollte sie der Ukraine höhere finanzielle Margen einräumen und diese flexibel einsetzen, um Reformfortschritte kurzfristig zu belohnen und Rückschritte effektiv zu bestrafen. Nur so kann sie reformorientierten Kräften konkrete Argumente im Kampf gegen alte Seilschaften in die Hand geben.

Denkbar wäre ein «Europäischer Modernisierungsfonds» zur Verbesserung der Infrastruktur im Land und zur Anpassung ukrainischer Unternehmen an EU-Standards. Lohnhilfen für den öffentlichen Sektor könnten ebenso helfen wie die Unterstützung der Zivilgesellschaft und unabhängiger Medien. Auch im Bereich der politischen Annäherung braucht das Land Unterstützung. Da die Ukraine mit dem vertieften und umfassenden Freihandelsabkommen bereits einen Grossteil des EU-Acquis umsetzen muss, sollte dem Land im Hinblick auf das Ende dieses aufwendigen Prozesses eine assoziierte Mitgliedschaft in Aussicht gestellt werden.

Mehr denn je ist die Ukraine heute auf die EU angewiesen. Was bei halbherziger Unterstützung droht, zeigt das Beispiel der Republik Moldau, wo vermeintlich proeuropäische Eliten knietief in einen Korruptionsskandal verwickelt waren. Die verdrossene Bevölkerung geht auf die Strasse, die Glaubwürdigkeit der EU leidet, und prorussische Kräfte gewinnen an Einfluss.

Dieser Beitrag erschien in der Internationalen Ausgabe der Neuen Zürcher Zeitung vom 23. Februar 2016.

Bild: CC Cha già José, source: flickr.com