Forschung
29.03.2020

Ist die EU “neoliberal“?

Die EU wird oft als ein marktorientiertes Projekt kritisiert. In diesem Artikel untersuchen die Autoren, inwiefern sich das für die wirtschaftspolitische Koordinierung belegen lässt. Hierzu werden mehr als 1300 Empfehlungen analysiert, die die EU zwischen 2012 und 2018 im Rahmen des Europäischen Semesters an ihre Mitgliedsstaaten ausgegeben hat. Die Forschungsfrage lautet: Fordert die EU mehr oder weniger Staatsintervention? Dabei wird unterschieden zwischen mehr oder weniger staatlichen Eingriffen in Bezug auf Staatsausgaben, den sozialen Bereich und den Schutz von Arbeitnehmern. 

Der Artikel zeigt, dass die EU vor allem dann einen Rückzug des Staates empfiehlt, wenn es um Ausgaben geht. Ganz anders sieht das Bild im sozialen Bereich aus, wo klar Empfehlungen für mehr Eingriffe dominieren. Viele Länder erhalten eine Kombination von Empfehlungen, die sich als „Flexicurity“ beschrieben lässt: ein Abbau des Arbeitnehmerschutzes, verbunden mit einem gleichzeitigen Ausbau der sozialen Sicherung. Als problematisch könnte sich erweisen, dass einige Länder gleichzeitig zu weniger Ausgaben und besserem sozialem Schutz aufgefordert werden. Solch eine Kombination kann dazu führen, dass Empfehlungen im sozialen Bereich unter den Tisch fallen. In den letzten Jahren wurden höhere öffentliche Ausgaben und Verbesserungen des Arbeitnehmerschutzes vergleichsweise häufiger gefordert. Die These, das Europäische Semester durchlaufe eine allmähliche „Sozialisierung“, kann der Artikel jedoch nicht bestätigen. Der Anteil der Empfehlungen für mehr Staatsintervention im sozialen Bereich ist zwar hoch, verändert sich aber nicht im Laufe der Zeit. 

Jörg S. Haas, Valerie D’Erman, Daniel F. Schulz and Amy Verdun (2020). ‘Economic and fiscal policy coordination after the crisis: is the European Semester promoting more or less state intervention?’ Journal of European Integration, 42(3), pp. 327-344.  

Image: CC Andrea, Source: Flickr