Politik
18.06.2015

Innenansicht: Griechenland im Spiegel der Verhandlungen

Die Griechische Parteienlandschaft im Spiegel der Verhandlungen – eine Innenansicht

Die Zeit für eine Einigung mit Griechenland wird knapp. Ob es noch zu einem Kompromiss kommen kann, ist unklar. Doch sollte es zu einem Kompromiss kommen, dann stellt sich immer noch die Frage, ob es in Griechenland eine politische Mehrheit geben kann. Will man einen Eindruck von der Zeit nach den engen europäischen Verhandlungen gewinnen, lohnt sich deshalb ein Blick auf die innenpolitischen Gegebenheiten in Griechenland.

Die Regierung

Syriza befindet sich in einer Koalition mit ANEL (Unabhängige Griechen). Zusammen haben sie 162 Sitze im Parlament – wobei 151 für eine Mehrheitsbildung erforderlich sind. ANEL, als kleiner Koalitionspartner, orientiert sich an der Politik Syrizas. Allerdings formuliert diese rechtsextreme Partei einige `rote Linien`, wenn es um Themen wie Migration, Verteidigung und Religion geht. Beispielsweise stimmte ANEL gegen das Staatsangehörigkeitsrecht für ausländische Kinder, die in Griechenland geboren wurden, während Syriza dafür stimmte.

Die meisten Syriza-Parteimitglieder zeigten in letzter Zeit eine bemerkenswerte Geschlossenheit, sind sehr vorsichtig mit ihren Aussagen gegenüber der Presse und unterstreichen ihr Vertrauen in ihren Ministerpräsidenten, Alexis Tsipras. Dennoch ist Syriza, das aus 13 verschiedenen Gruppierungen, einschließlich der Marxisten und Leninisten besteht, keine homogene Partei. Sie wurde erst im Jahr 2004 gegründet und im Jahr 2012 trat die letzte Gruppierung in die Partei ein. Vor allem die radikale Linke unter der Führung von Energieminister Panagiotis Lafazanis steht klar für Konfrontation statt Kompromisssuche. In der letzten Sitzung der Fraktion gewann er weitere Unterstützer, unter anderem die der Gruppe um Rudi Rinaldi, einem Kommunisten italienischer Herkunft. Lafazanis machte einen Gegenvorschlag zu Tsipras‘ Verhandlungsführung und 44% der Syriza-Parlamentarier unterstützten ihn, dass ein konfrontativerer Verhandlungskurs wünschenswert wäre. Die äußerst populäre Webseite des Ministers Lafazanis iskra.gr ist voll von radikalen Artikeln mit Titeln wie: In kritischen Stunden sind radikale Lösungen nötig. Für Tsipras ist diese radikale Linke eine echte Herausforderung. Denn Tsipras kann sich wohl kaum leisten, den radikal linken Flügel seiner Partei zu verlieren, der knapp 40% von Syriza ausmacht. Eine solche Abspaltung würde die Koalition als Ganze in Frage stellen.

Man könnte meinen, dass Tsipras durch seine Rhetorik die Grundlagen dafür legen will, dass ein Abkommen innerhalb der jetzigen Koalition gefunden werden kann – und er dasteht als erfolgreicher Krisenmanager. Denn die offizielle Parteilinie von Syriza ist weiterhin, dass Griechenland sowohl als integraler Bestandteil der EU als auch in der Eurozone gehalten werden soll. Syriza bezeichnet jegliches Ausstiegsszenario als katastrophal. Wenn Tsipras keine eigene Mehrheit mit seiner Koalition finden würde, wäre eine Öffnung nötig. Tsipras hat in den letzten Tagen intensive Gespräche mit anderen Politikern der Opposition geführt, einschließlich derm neuen Präsidentin der Pasok, Fofi Gennimata, dem Leiter von To Potami, Stavros Theodorakis, dem Präsidenten der KIDISO und dem ehemaligen Ministerpräsidenten, Giorgos Papandreou , sowie mit der prominenten Abgeordneten von Nea Dimokratia, Dora Bakoyanni. Heißt das, dass Tsipras den Weg für eine neue Koalition ebnet? Im Falle einer Parteispaltung von der Syriza, müsste Tsipras neue Unterstützer aus anderen politischen Familien finden.

Finanzminister Yanis Varoufakis hat sich nach dem Gipfel der Eurogruppe in Riga am 24. April von seinen Kollegen distanziert und ist nicht offiziell im Verhandlungsteam. Er könnte den Hype um seine Person, der ihn zu einem der zurzeit gefragtesten Politiker Europas macht, als Karrieresprungbrett in eine Position nutzen, die nicht unbedingt in einer Regierung verortet sein muss. Varoufakis ist darüber hinaus kein Mitglied der Partei, von daher gibt es keinerlei emotionale Bindung zwischen ihm und Syriza.

Die Oppositionsparteien

Das Oppositionslager hat sich derweil in einen selbstgewählten politischen Stillstand begeben – bis die Ergebnisse der Verhandlungen ans Licht kommen. Antonis Samaras, der Präsident der Nea Dimokratia, forderte seine Parteimitglieder auf zu schweigen, kritisierte aber zugleich Syriza für den seiner Meinung nach grundlosen Verlust wertvoller Zeit im Rahmen der Verhandlungen. Nea Dimokratia befindet sich derweil ebenfalls in einer Passivstellung. Samaras erklärte vor kurzem, dass seine Partei dazu bereit wäre Teil einer “Regierung des gegenseitigen Verständnisses” zu sein, um bei einem Zerfall der aktuellen Koalition die Verhandlungen fortsetzen zu können, ohne dass Neuwahlen notwendig würden. Auf keinen Fall will er jedoch eine Koalition mit Syriza, wie es von einigen Kommentatoren zu lesen war.

Pasok und To Potami haben insgesamt zusammen 30 Sitze im Parlament (Pasok: 13; To Potami: 17). Beide haben eine ähnliche Haltung gegenüber der Möglichkeit einer Verlängerung des laufenden Hilfsprogramms um bis zu 9 Monate – sie lehnen die Verlängerung ab. Der Präsident der To Potami, Stavros Theodorakis, meinte, Tsipras solle jetzt einen guten Deal und eine mutigen Schritt machen, statt sich von den Entwicklungen davontragen zu lassen. Und der abtretende Präsident der Pasok, Evangelos Venizelos, befürchtet, dass die Verlängerung des aktuellen Programmes die Fortführung der wirtschaftlichen- und sozialen Folter für Griechenland bedeuten würde.

Zur Opposition gehören auch die Parteien Goldene Morgenröte und die Kommunisten, jeweils mit 17 und 15 Sitzen im Parlament vertreten, die jedoch als Partner für Syriza nicht infrage kommen.

Die Stimmung

Nach jüngsten Umfragen wünschen sich 50% der Griechen eine Vereinbarung mit den Institutionen anstatt eines Grexits, während sieben von zehn Griechen durch die anhaltende Unsicherheit enttäuscht sind. Die Unsicherheit ist vor allem in den letzten zwei Wochen gestiegen. 61,4% der Griechen sind nicht einverstanden mit der Haltung der Regierung, während nur 22,8% für eine härtere Haltung sind. Eine andere Zahl spiegelt die depressive Stimmung der griechischen Gesellschaft wider: 64,3% der Griechen glauben, dass die Lage sich heute in einem Jahr noch verschlimmert haben wird. Dennoch versucht Syriza mit allen Mittel sich an seine Wahlversprechen zu halten und Alexis Tsipras ist dabei zurzeit der Garant für die Glaubwürdigkeit Syrizas.

Mathematik im Parlament

Ist eine Einigung in den Verhandlungen zum Greifen nahe, kann es dennoch weitere Schwierigkeiten von der griechischen Seite geben. Man kann bezweifeln, ob Tsipras in der Lage ist eine Vereinbarung mit der Unterstützung seiner Abgeordneten und des Koalitionspartners ANEL durch das Parlament zu verabschieden. Hier kommt Mathematik ins Spiel: Syriza und ANEL stellen gemeinsam 162 Abgeordnete von 300. Eine einfache Mehrheit (151 Stimmen) ist notwendig um eine Vereinbarung abzusegnen. Was wäre, wenn ANEL oder der linke Flügel der Syriza zurückweichen?

Drei mögliche Szenarien:

  • Tsipras kann seine eigene Mehrheit in der derzeitigen Koalition halten: Dies wäre eine schwierige Aufgabe mit der radikalen Linken und ANEL, da sie beide auf Konfrontationskurs und antieuropäisch eingestellt sind.
  • Falls Syriza auseinanderbrechen sollte, weil sich beispielsweise die radikale Linke (ca. 37% von Syriza-Parlamentariern) unter Lafazanis Führung abspaltet oder ANEL sich von Syriza entfernt, kann sich Tsipras gezwungen sehen eine neue Koalition zu bilden – ohne Neuwahlen: Die prominentesten neuen Verbündeten könnten entweder To Potami oder Pasok sein (viele ehemalige Mitglieder der Pasok sind heute bei Syriza). Je nach Anzahl der Abweichler, könnten die beiden Parteien selbst zusammen genommen jedoch zu klein sein, um Tsipras eine Mehrheit zu verschaffen.
  • In diesem Fall wäre Syriza abhängig von Nea Dimokratia. Der konservative Samaras könnte also alle Karten in der Hand haben: Entweder er geht eine Koalition ein, oder er verweigert und würde somit Neuwahlen heraufbeschwören. Das würde Monate des Stillstands in Griechenland bedeuten. Samaras könnte seine Zustimmung aber auch abhängig davon machen, dass ein geschwächter Tsipras im Anschluss an die Abstimmung zurücktritt und Neuwahlen stattfinden. Für Samaras könnte das der Weg zurück zur Macht sein.

Stylia Kampani ist Communications Officer bei der UN Migrations Behörde, davor arbeitete sie beim Jacques Delors Centre.

Bild: CC Joanna, source: flickr.com