Politik
09.09.2016

Fragen und Antworten zu Junckers SOTEU-Rede

Am 14. September 2016 wird EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in einer Rede vor dem Europäischen Parlament seine politischen Prioritäten für das kommende Jahr und eine Bilanz seiner bisherigen Arbeit präsentieren. Valentin Kreilinger beantwortet in diesem Blogpost sieben grundlegende Fragen zu dieser im Jahr 2010 eingeführten Tradition.

1 Woher kommt die Idee einer solchen Rede?

Viele EU-Mitgliedsstaaten kennen Reden „zur Lage der Nation“ von ihren Regierungschefs oder Staatsoberhäuptern. Jean-Claude Juncker verwies bei seiner ersten „State of the Union“-Rede am 9. September 2015 darauf, dass er als luxemburgischer Premierminister solche Reden gehalten habe. Das direkte Vorbild ist jedoch die „State of the Union“-Rede des US-Präsidenten, die normalerweise Ende Januar oder Anfang Februar vor beiden Kammern des US-amerikanischen Kongresses stattfindet.

2 Wie ist die Rede rechtlich verankert?

Die erste „State of the Union“-Rede wurde im Jahr 2010 von José Manuel Barroso gehalten. Siebietet dem Kommissionspräsidenten die Möglichkeit, eine politische Grundsatzansprache zu halten und anschließend in einer Debatte dem Europäischen Parlament Rede und Antwort zu stehen.

Rechtlich ist dies in der inter-institutionellen Vereinbarung zwischen Parlament und Kommission aus dem Jahr 2010 festgeschrieben: „Jedes Jahr wird in der ersten Tagung im September eine Debatte über die Lage der Union stattfinden, in deren Verlauf der Präsident der Kommission eine Ansprache hält, in der er die Bilanz des laufenden Jahres zieht und einen Ausblick auf die künftigen Prioritäten für die folgenden Jahre gibt“ (Rahmenvereinbarung über die Beziehungen zwischen dem Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission, Anhang IV, §5).

3 Wozu dient die Rede des Kommissionspräsidenten?

Die Rede dient als eine Art Richtschnur für die Erstellung des neuen Arbeitsprogramms der Europäischen Kommission, das für 2017 – wie im laufenden Jahr – die Initiativen und Aktivitäten der Kommission vorzeichnet. Die Rede soll auch die Position des Kommissionspräsidenten stärken, auch gegenüber den Mitgliedsstaaten und dem Europäischen Rat: Schon zwei Tage nach Junckers Rede treffen sich am 16. September 2016 die 27 Staats- und Regierungschefs (ohne Großbritannien) in Bratislava zu einem informellen Gipfel, um über die Zukunft der Union zu beraten.

4 Welche Rolle spielt die Rede im Gesetzgebungsprozess?

Für das Europäische Parlament, seine Fraktionen und die Abgeordneten bietet die Plenardebatte, die auf die „State of the Union“-Rede folgt, eine Möglichkeit zur Profilierung. Sie ist auch ein wichtiger Referenzpunkt für die Bestrebungen des Parlaments, im Gesetzgebungszyklus die Agenda zu setzen. Interessanterweise haben fast zwei Drittel der nationalen Parlamente begonnen, das Arbeitsprogramm der Kommission genauer zu analysieren, und knapp die Hälfte hält es für sinnvoll, sich hierbei stärker mit anderen nationalen Parlamenten zu koordinieren (25th Bi-annual Report of COSAC, p. 15-16). Durch die Rede können sie in einem noch früheren Stadium mehr über die Prioritäten der Europäischen Kommission erfahren.

5 Auf welche Themen wird Jean-Claude Juncker besonders eingehen?

Die großen europäischen Herausforderungen im Bereich Sicherheit (innere und äußere Sicherheit, Flüchtlinge und Migration, die EU-Außengrenzen, der Kampf gegen den Terrorismus), die britische Entscheidung für den Austritt aus der EU beim Referendum am 23. Juni 2016, die Wirtschafts- und Haushaltspolitik und die Arbeitslosigkeit, vor allem in Südeuropa, sowie die Kritik an den Handelsabkommen CETA und TTIP sind nur einige der Themen, die der Kommissionspräsident vermutlich ansprechen wird.

Im vergangenen Jahr stand seine Rede unter dem Leitmotiv „Zeit für Ehrlichkeit, Einigkeit und Solidarität“.  Jean-Claude Juncker sagte damals: „Es fehlt an Europa in dieser Union. Und es fehlt an Union in dieser Union.“ Neben der Flüchtlingskrise sprach er über die Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion, das dritte Hilfspaket für Griechenland, die auch „Juncker-Plan“ genannte Investitionsoffensive, das vom britischen Premierminister angekündigte Referendum über die EU-Mitgliedschaft, die Lage in der Ukraine, TTIP sowie die damals bevorstehende UN-Klimakonferenz in Paris. Eine ganze Reihe dieser Fragen wird sich auch in Junckers Rede am 14. September 2016 wiederfinden.

6 Wie laufen die „State of the Union“-Rede und die Plenardebatte ab?

Im Jahr 2015 dauerte die Rede 1 Stunde 20 Minuten und war damit deutlich länger als geplant. Anschließend ergriffen Vertreter aller im Europäischen Parlament vertretenen Fraktionen das Wort und die Debatte endete mit einem Schlussstatement des Kommissionspräsidenten. Die Tagesordnung des Europäischen Parlaments für den 14. September 2016 sieht für die Rede 40 Minuten und für die Aussprache 75 Minuten vor. Die Redezeit für die einzelnen Fraktionen richtet sich nach ihrer Stärke und beträgt 5 Minuten für die Fraktion „Europa der Nationen und Freiheit“, während die EVP als größte Fraktion 18 Minuten erhält.

7 Erreicht die Rede auch eine breite Öffentlichkeit?

Der Kommissionspräsident richtet sich keinesfalls allein an die anwesenden Parlamentarier, sondern das Europäische Parlament stellt ein Forum dar, von dem aus er sich an die Bürgerinnen und Bürger der ganzen EU wendet. Die Abkürzung für „State of the European Union“, #SOTEU, erreichte vor einem Jahr während der Rede streckenweise über 550 Tweets pro Minute war damit weltweit und in vielen EU-Staaten mit insgesamt mindestens 60.000 Tweets (Retweets ausgenommen) der damals meistbenutzte Hashtag.

Die Rede kann am 14. September 2016 im Livestream verfolgt und in den sozialen Netzwerken diskutiert werden. Die traditionellen Medien berichten natürlich auch über die Rede und tragen damit zu einer transnationalen Debatte bei.

Dr. Valentin Kreilinger arbeitete zuvor für das Jacques Delors Centre.

Bild: CC Martin Schulz, Source: flickr