Politik
01.04.2015

Europäische Armee: altes Projekt – neue Debatte

Der Vorschlag von EU-Kommissionpräsident Jean-Claude Juncker eine europäische Armee zu schaffen ist nicht neu. Trotzdem sorgte Junckers Interview vom 8. März 2015 in der Welt am Sonntag vor allem im politischen Berlin für Aufregung. Wo verlaufen die Fronten zwischen Gegnern und Befürwortern? Ließe sich der Vorschlag im aktuellen politischen Kontext umsetzen?

Junckers Vorstoß

Schon 1954 war ein erster Anlauf zur Schaffung einer europäischen Armee in Form des sogenannten „Pleven-Plans“ gescheitert. Der Vorschlag des französischen Ministerpräsidenten Réne Pleven wurde von den Abgeordneten der französischen Nationalversammlung abgelehnt. Seitdem wird diese Idee immer wieder aufgegriffen. Juncker hat den Zeitpunkt für einen erneuten Anlauf jedoch günstig gewählt. Die Chancen, dieses Projekt erneut in der politischen Agenda zu verankern, stehen so gut wie selten zuvor.

Der Kommissionspräsident unterstreicht, dass die Krise in der Ukraine ein starkes Signal an Russland erfordert. Die EU müsse nun zeigen, dass sie bereit ist, ihre Werte zu verteidigen. Juncker hebt hervor, dass die Mitgliedstaaten auf diesem Wege ihre Militärausgaben zurückfahren und trotzdem einsatzfähige Armeen erhalten könnten. Die Aussicht auf Einsparungen dürfte vielen europäischen Regierungen reizvoll erscheinen. Die Probleme der Bundeswehr sind nur ein Beispiel dafür, wie schwer es ist, bei knappen Mitteln eine funktionierende Armee aufrechtzuerhalten.
Neu ist, dass Juncker der Beziehung zwischen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und der europäischen Armee eine neue Richtung gibt: Die Armee soll dabei helfen, dieses Politikfeld auszubauen, statt als Endprodukt aus ihr hervorzugehen. Rückenwind bekommt Juncker durch einen am 26. Februar vom Brüsseler Think Tank „Centre for European Policy Studies“ veröffentlichten Bericht zur Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Angeführt vom ehemaligen EU-Außenbeauftragten und Nato-Generalsekretär Javier Solana spricht sich eine Gruppe von Experten darin für eine stärkere europäische Zusammenarbeit in der Verteidigungspolitik aus.

Die Befürworter

Junckers Plan findet bei der deutschen Regierung generell Zuspruch. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) steht einer europäischen Armee seit längerem offen gegenüber. Mit dem ehemaligen französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy trat sie dafür ein und äußerte sich auch dieses Mal wieder positiv. Außenminister Steinmeier (SPD) begrüßte Junckers Idee ebenfalls. Jedoch schraubten beide die Erwartungen herunter und bezeichneten die Europaarmee als Zukunftsprojekt ohne konkreten Zeitplan.

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) lobte Junckers Initiative, bezeichnete diese allerdings ebenfalls als sehr langfristiges Projekt. Sie verwies auf bestehende bilaterale Verteidigungskooperationen und betonte, man solle zunächst darauf aufbauen. Tatsächlich wird die Bundeswehr bald 600 Soldaten dauerhaft unter polnisches Kommando stellen. Seit 2014 befinden sich 2100 niederländische Soldaten unter deutschem Befehl, um die Division „Schnelle Kräfte“ zu verstärken. Bald sollen im Gegenzug deutsche Marinestreitkräfte unter niederländischem Kommando arbeiten. Gleichzeitig wird aber auch über die Auflösung der seit 1989 bestehenden Deutsch-Französischen Brigade nachgedacht, die einst als Vorzeigeprojekt der bilateralen Verteidigungszusammenarbeit galt.

Auch Abgeordnete der Regierungsparteien stellen sich hinter Juncker. Besonders euphorisch äußerte sich der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen (CDU). „Eine gemeinsame Armee ist eine europäische Vision, deren Zeit gekommen ist“, sagte er am 8. März der Süddeutschen Zeitung. Die Fähigkeiten der nationalen Kleinarmeen seien unzureichend. Das sei ein dringend zu überwindender Anachronismus. Auch Hans-Peter Bartels (SPD), Vorsitzender des Verteidigungsausschusses, begrüßte den Vorstoß Junckers und drängte darauf, möglichst bald konkrete Maßnahmen zu ergreifen – notfalls auch durch zwischenstaatliche Vereinbarungen.

Das Europäische Parlament steht augenscheinlich ebenfalls mehrheitlich hinter einer europäischen Armee. Bereits 2009 hatte es das „Synchronized Armed Forces Europe“ Konzept (SAFE) in seinen Jahresbericht aufgenommen, das einen ersten Schritt hin zu einer europäischen Armee darstellt. Auch heute haben Abgeordnete quer durch die Fraktionen Unterstützung signalisiert. Gleichzeitig werden Forderungen nach demokratischer Legitimität laut. So sprach sich beispielsweise der Grünen-Abgeordnete Jan Phillip Albrecht dafür aus, eine europäische Armee der Kontrolle des Europäischen Parlaments zu unterstellen.

Die Gegner

In Europa finden sich auch viele Kritiker des Projekts „europäische Armee“. Am deutlichsten stellen sich die Briten gegen Juncker. Premierminister David Cameron signalisierte im Hinblick auf den euroskeptischen Flügel seiner Partei schon früh, dass er eine europäische Armee nicht unterstützen würde. In Großbritannien wird befürchtet, dass sie die Rolle der NATO untergraben und zur Verringerung der Streitkräfte des Bündnisses führen könnte. Auch viele französische Politiker zeigen sich skeptisch und heben hervor, dass die Verteidigung eine nationale Angelegenheit sei. In beiden Ländern, die innerhalb Europas militärisch führend sind, herrscht zudem die Sorge, dass eine europäische Armee den eigenen Einfluss auf internationaler Ebene untergraben könnte.

In anderen Mitgliedstaaten wird darauf hingewiesen, dass eine europäische Armee vor dem Hintergrund des wachsenden Euroskeptizismus nur schwer durchzusetzen sei. Hinzu kommt, dass sich die Mitgliedstaaten generell nur selten auf den Einsatz militärischer Mittel einigen können.

Die deutsche Opposition bremst die Euphorie ebenfalls. Der außenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag, Omid Nouripour, findet die Idee zwar prinzipiell gut, fordert aber zunächst eine Verfestigung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Die Chefin der Grünen, Simone Peter, dreht Junckers Ukraine-Argument um: Gerade jetzt solle man nicht über eine europäische Armee reden, um Russland nicht weiter zu provozieren. Ähnlich äußerte sich Christine Buchholz, verteidigungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag. Die Opposition spricht hiermit Bedenken eines Großteils der deutschen Bevölkerung aus, der militärischen Projekten eher skeptisch gegenübersteht.

Fazit

Befürworter und Gegner einer europäischen Armee haben sich erneut positioniert. Einigkeit herrscht nur in einem Punkt: Eine europäische Armee ist ein langfristiges und schwer umsetzbares Projekt. Jean-Claude Juncker ist sich dessen sehr wohl bewusst. Er hat die Debatte wohl auch im Hinblick auf die anstehende Erarbeitung einer neuen Außen- und Sicherheitsstrategie abermals angestoßen. Wie sich die Debatte entwickelt, hängt nicht nur von innereuropäischen Dynamiken, sondern auch von der äußeren Bedrohungslage ab. Eins ist jedoch sicher: Von der Debatte hin zu einer funktionierenden europäischen Armee ist es noch ein weiter Weg.

Christopher Cosler war studentische Hilfskraft am Jacques Delors Centre.

Bild: CC Rock Cohen, source: flickr.com