Am 22. Juni 2015 haben die Präsidenten von Europäischer Kommission, Europäischem Rat, Euro-Gruppe, Europäischer Zentralbank und Europäischem Parlament den Bericht „Die Wirtschafts- und Währungsunion vollenden“ vorgelegt. Dieser Bericht wurde am 26. Juni 2015 von den Staats- und Regierungschefs „zur Kenntnis genommen“ und der EU-Ministerrat wurde ersucht, ihn „umgehend zu prüfen“. Der nun angestoßene Prozess erscheint von den intergouvernmentalen EU-Institutionen Europäischer Rat und Ministerrat dominiert. Dieser Blogeintrag untersucht, welche Rolle das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente im Prüfprozess und im Bericht spielen.
Mitreden ja, mitentscheiden nein?
Zunächst einmal ist positiv zu bewerten, dass der Präsident des Europäischen Parlaments in die Beratungen einbezogen wurde. Bei ähnlichen Berichten in Juni und Dezember 2012 war dies nicht der Fall gewesen, was vom Europäischen Parlament scharf kritisiert worden war. Bei den Reformbemühungen und der Weiterentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion selbst wird die notwendige parlamentarische Kontrolle von Entscheidungen der Exekutive oft vergessen: Für den Bericht der fünf Präsidenten wäre eine frühere Veröffentlichung wünschenswert gewesen, um eine ordentliche Kontrolle durch nationale Parlamente vor dem Gipfeltreffen des Europäischen Rates zu ermöglichen. Inhaltlich enthält der Bericht jedoch einige zielführende Vorschläge zur stärkeren Beteiligung von Parlamenten an der Steuerung der Wirtschafts- und Währungsunion.
Das Dokument schlägt vor, sowohl nationale Parlamente als auch das Europäische Parlament stärker in das Europäische Semester zur Koordinierung der Wirtschafts- und Haushaltspolitiken einzubeziehen. Debatten und Anhörungen sind eine einfache und schnell umsetzbare Lösung, die einen wichtigen Beitrag leisten können, um beispielsweise die Empfehlungen der Europäischen Kommission besser in der nationalen Öffentlichkeit zu kommunizieren. Weiterreichende Ideen zur Einbeziehung von Parlamenten – wie Abstimmungen in nationalen Parlamenten über die Dokumente, die eine Regierung „nach Brüssel“ schickt, oder ein Mitentscheidungsrecht des Europäischen Parlaments über den Jahreswachstumsbericht – werden im Bericht der fünf Präsidenten allerdings nicht erwähnt. Das Europäische Parlament muss sich vorwerfen lassen, im Jahr 2011 bei den Verhandlungen über den sogenannten „Six-Pack“, der den Kern des Europäischen Semesters darstellt, nicht genügend auf eigene Befugnisse gepocht zu haben. Im Jahr 2015 hat das Europäische Parlament nun aber klare Vorstellungen, wie das Europäische Semester demokratisiert werden soll.
Regierungschefs sind ihrem Parlament gegenüber verantwortlich
Das Handeln der Staats- und Regierungschefs auf europäischem Parkett wird vom jeweiligen nationalen Parlament kontrolliert. Obwohl die Kontrollmechanismen der nationalen Parlamente ursprünglich für die europäische Gesetzgebung konzipiert worden sind und nicht für nicht-legislative Entscheidungen der 19 oder 28 Staats- und Regierungschefs, haben nationale Parlamente begonnen sich anzupassen und Zeit und Ressourcen für die Tagungen des Europäischen Rates und die Euro-Gipfel aufzuwenden.
Eine Studie des Jacques Delors Institute und der Trans European Policy Studies Association hat die Kontrollrechte nationaler Parlamente über Europäischen Rat und Euro-Gipfel analysiert: In 17 Mitgliedstaaten gibt es in Bezug auf Informations- und Konsultationsrechte formelle Regeln für die Kontrolle von Gipfeltreffen des Europäischen Rates. Nur 3 Mitgliedstaaten (Deutschland, Österreich und Spanien) kennen zusätzlich spezielle Regeln für Euro-Gipfel; in den anderen Parlamenten von Euro-Ländern folgt diese Kontrolle der für den Europäischen Rat angewandten Praxis, da Euro-Gipfel meistens am Rande des Europäischen Rates stattfinden.
Parlamentarische Kontrollinstrumente richtig nutzen
In den vergangenen Jahren hat sich eine Verschiebung von ex-post-Kontrolle nach dem Europäischen Rat hin zu ex-ante-Kontrolle vor den Gipfeltreffen bemerkbar gemacht, die im Fall des Fünf-Präsidenten-Berichts wegen der kurzen Frist zwischen Veröffentlichung und Gipfeltreffen dazu führen könnte, dass eine ganze Reihe nationaler Parlamente keine Analyse und Bewertung dieses Dokuments vornehmen wird. Dazu kommt, dass der Bericht zur Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion beim Europäischen Rat lediglich kurz angesprochen wurde, weil dringendere kurzfristige Probleme (insbesondere Migration und die Griechenland-Frage) den Gipfel dominierten.
Trotzdem ist es für die Sichtbarkeit nationaler Parlamente in der Debatte um die Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion von entscheidender Bedeutung, den Bericht in den kommenden Wochen in den Europa- oder Wirtschafts- und Haushaltausschüssen zu prüfen und zu bewerten. Parlamente sollten dann nicht davor zurückscheuen, sowohl die Position ihrer Regierung im EU-Ministerrat zu kontrollieren als auch direkt mit den EU-Institutionen zu kommunizieren und den Bericht bei inter-parlamentarischen Zusammentreffen zu diskutieren. Neben solchen direkten Reaktionen auf den Bericht, sollten alle Parlamente die im Fünf-Präsidenten-Bericht aufgezeigten Kontrollmöglichkeiten nutzen sowie ihre Mitwirkungsrechte aktiv wahrnehmen und eventuell stärken. Falls es, wie im Bericht vorgeschlagen, zu einer Änderung der europäischen Verträge kommt und falls diese nach dem ordentlichen Änderungsverfahren mit einem „Konvent“ geschieht (Artikel 48(2)-(5) EUV), können nationale Parlamente und das Europäische Parlament durch ihre direkte Beteiligung am Konvent eine wichtige Rolle im Prozess der Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion spielen.
Dr. Valentin Kreilinger arbeitete zuvor für das Jacques Delors Centre.