Politik
06.06.2014

Die Zinssenkung der EZB

Der Wut deutscher Sparer über die EZB-Zinsentscheidung ist nachvollziehbar, aber kurzsichtig. Nicht die EZB ist für die niedrigen Zinsen in Europa verantwortlich, sondern das viel zu schwache Wirtschaftswachstum in Verbindung mit viel zu hohen Staatsschulden.

Jeder Zins, auch der auf einem Festgeldkonto, geht zurück auf Renditen irgendwo im Wirtschaftskreislauf. Selbst Sparkassen müssen einen Teil der Gelder ihrer Anleger investieren oder als Kredite weitervergeben, um den Anlegern überhaupt Sparzinsen anbieten zu können.

Deshalb sind Zinsen direkt abhängig vom Wirtschaftswachstum. Die Zentralbank bestimmt nur, wieviel Geld es für eine kurzfristige und quasi risikolose Anlage gibt. Die Entscheidung über diesen Zins wird aber Folgen für den Rest der Wirtschaft haben. Wenn die Zentralbank einen risikolosen Zins von 2 Prozent sicherstellt, dann werden Investoren ihr Geld dort parken und nicht in produktive Kredite an Unternehmen stecken – es sei denn, die erwarteten Renditen liegen höher als 2 Prozent. Und dann ist da ja noch das unternehmerische Risiko: je nach Geschäftsmodell müssen Unternehmer in diesem Beispiel schon mehr als 4 oder 5 Prozent Rendite erzielen, um überhaupt Investoren zu finden.

Solche Renditen sind heute in Europa aber die absolute Ausnahme. Das aktuelle Wirtschaftswachstum von nur 0,5% zeigt, dass die durchschnittlichen Renditen eben auch auf diesem Niveau liegen. Der Nullzins der EZB ist keine Enteignungspolitik, sondern eine dringend notwendige Maßnahme, damit überhaupt noch Kredite in den Wirtschaftskreislauf fließen.

Dass diese Logik in Deutschland weniger präsent ist, liegt daran, dass unsere Konjunktur besser läuft, als die im Rest Europas. Gäbe es einen Zinssatz nur für Deutschland, dann würde dieser heute wahrscheinlich bei 2 oder 3 Prozent liegen. Dadurch würde unser Wachstum aber auch wieder gedrosselt: Deutschland profitiert überproportional von den Niedrigzinsen der EZB. Die exzellente Lage auf dem Arbeitsmarkt und die hohen Steuereinnahmen sprechen eine klare Sprache. Der gute Zustand unseres Staatshaushalts ist eine direkte Folge der Niedrigzinspolitik. Dafür entsteht in Deutschland dringend notwendiger Investitionsspielraum.

Im Rest Europas ist die Lage schlechter. In Spanien sind zwei Drittel der jungen Frauen arbeitslos. Dort werden elementare Lebenschancen bedroht, wenn die Wirtschaft nicht wieder zu wachsen beginnt. Die spanische Regierung kann nur wenig tun. Im Gegenteil: Sie muss sparen, das verlangt gerade Deutschland zu Recht von ihr, und nimmt deshalb zusätzliche Dynamik aus dem Wirtschaftskreislauf. Denn eine sparende Regierung wird weniger investieren, weniger Personen beschäftigen und damit die Nachfrage drosseln. Kämen jetzt noch hohe Zinsen im Euroraum dazu, dann wäre ein Zusammenbruch der spanischen Konjunktur die Folge.

Was auch für Deutschland gilt, ist das Deflationsrisiko. Die EZB versucht durch ihre Politik nicht nur das Wirtschaftswachstum in den Krisenländern wieder zu beleben, sondern auch die Inflation wieder zurück zum Zielwert von 2% zu führen. Das japanische Beispiel erklärt, warum das so wichtig ist: Dort befindet sich die Wirtschaft seit rund 20 Jahren in Deflation oder Null-Inflation und Stagnation. Die Staatsschulden sind dementsprechend auf horrende Werte von über 200 Prozent des Bruttoinlandsprodukts angestiegen. Und die Zentralbank ist machtlos. Sie pumpt weiter Geld in den Wirtschaftskreislauf, aber ohne wirklichen Erfolg.

Für Europa geht es darum, gerade dieses japanische Szenario im Keim zu ersticken. Wer bei einer gefährlichen Krankheit zu lange mit dem Antibiotikum wartet, läuft Gefahr, die Krankheit nicht mehr aufhalten zu können. Natürlich kann niemand garantieren, dass die EZB-Politik erfolgreich sein wird. Die gestrige Entscheidung ist angesichts der Bedrohungen aber eher eine homöopathische Therapie, als das notwendige Antibiotikum. Viel weitreichendere Maßnahmen wie direkte Anleiheankäufe wären der bessere Ansatz, damit der Konjunkturmotor im gesamten Euroraum endlich wieder anspringt. Die Nebenwirkungen solcher Maßnahmen sind nicht zu leugnen: Viel Geld fließt direkt in die Aktienmärkte und in Immobilien. Gleichzeitig sind die Nullzinsen für die deutschen Sparer sind ein echtes Übel. Aber alles in Allem sind sie sind das eindeutig kleinere Übel, verglichen mit den Risiken einer Deflation in Europa.

Bild: CC Piotr Bronkalla, source: flickr.com