Politik
26.08.2021

Big-Tech: Die offene Flanke in Europas Finanzmarktregeln schließen

Die Technologiekonzerne Google, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft sind auf dem Vormarsch, neuerdings auch im Geschäft für Finanzdienstleistungen. Das stellt nicht nur Wettbewerbshüter und Verbraucherschützer vor neue Herausforderungen, sondern auch die Finanzmarktaufsicht. Denn bei Big-Tech haben die europäischen Finanzmarktregeln eine offene Flanke. Das gefährdet die Finanzmarktstabilität. Damit Technologiekonzerne nicht länger unter dem Radar der Finanzaufsicht fliegen, plädiert Sebastian Mack in dieser Policy Position dafür, die Gruppenaufsicht über Finanzkonglomerate fit für das digitale Zeitalter zu machen.

Google, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft erobern immer weitere Teile unseres Alltags. Seit einiger Zeit drängen die Big-Tech-Konzerne auch in den Markt für Finanzdienstleistungen. Weil das neue Gefahren für das Finanzsystem mit sich bringt, hat die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) nun Regulatoren zum Handeln aufgefordert. Zurecht, denn auch in Europa ist die Finanzmarktregulierung nicht fit für das 21. Jahrhundert. Riesige Technologiekonzerne fliegen unter dem Radar der Finanzaufsicht, obwohl sie immer größere Teile des Zahlungsverkehrs abwickeln. Die europäischen Regeln für die Aufsicht über Finanzkonglomerate brauchen deshalb dringend eine Generalüberholung.

Drei Risiken für die Finanzstabilität

Als Lieferanten, Geschäftspartner und zunehmend auch Konkurrenten traditioneller Finanzinstitute könnten Big-Tech-Konzerne die Bankenlandschaft gehörig durcheinanderwirbeln. Weil sie bislang nicht ausreichend reguliert und überwacht werden, birgt das – neben Bedenken bei Wettbewerb und Datenschutz – mindestens drei Gefahren für das Finanzsystem.

Erstens, bei der digitalen Transformation setzen Großbanken verstärkt auf überall abrufbare, digitale Speicherplätze. Bereitgestellt werden diese „Public Clouds“ zu drei Vierteln von Microsoft, Amazon und Google. Eine schwerwiegende Störung bei den Technologieriesen hätte fatale Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit der Banken. Anders ausgedrückt: Wenn Microsoft hustet, dann hat die Commerzbank Grippe.

Zweitens, Big-Tech-Konzerne vertreiben vermehrt Produkte gemeinsam mit etablierten Banken. In Kooperation mit Goldman Sachs und Mastercard hat Apple eine eigene Kreditkarte entwickelt, Google bietet zusammen mit der Citigroup ein Bankkonto an. Sollten die Technologiekonzerne in ihrem Kerngeschäft in finanzielle Schwierigkeiten geraten – zum Beispiel wegen Reputationsschäden durch Datenlecks oder infolge einer Aufspaltung durch Kartellbehörden – könnte das auch Auswirkungen auf das Geschäft mit kooperierenden Banken haben.

Drittens, Big-Tech-Konzerne bieten zunehmend selbst Finanzdienstleistungen an. Google, Apple, Facebook und Amazon haben eigene Bezahlsysteme aufgebaut, Amazon vergibt Kredite an Händler. Damit schwächen die Technologiekonzerne die ohnehin geringe Ertragskraft europäischer Banken und könnten langfristig manch etabliertes Institut zu Fall bringen. Vor allem aber können die Technologieriesen selbst das Finanzsystem ins Wanken bringen, wenn sie große Teile des Zahlungsverkehrs abwickeln und plötzlich ausfallen sollten.

Handeln, bevor es zu spät ist

Wie schnell Big-Tech-Konzerne systemrelevant werden können, zeigt sich in China. Dort haben WeChat Pay und Alipay den Markt für mobile Zahlungen mit einem Anteil von 94% fest im Griff. Hierzulande ist Amazon Pay bei den Online-Bezahldiensten bereits genauso beliebt wie das von den deutschen Banken und Sparkassen angebotene Giropay. Google und Apple Pay liegen dahinter in Lauerstellung. Ihr enormes Wachstumspotenzial verdanken die Technologieriesen sogenannten Netzwerkeffekten: Durch ihre Plattformen verfügen sie über eine riesige Anzahl an Kunden und deren Daten. Wenn Finanzdienstleistungen nur einen Klick entfernt sind, können sie sich rasend schnell ausbreiten. Um zu verhindern, dass sich dadurch materielle Risiken außerhalb der Finanzaufsicht aufbauen, müssen Technologiekonzerne angemessen reguliert und beaufsichtigt werden.

Tätigkeitsbasierte Regeln greifen zu kurz

Big-Tech-Konzerne, die nur einzelne Finanzdienstleistungen erbringen, benötigen in Europa keine Banklizenz. Für sie gelten die jeweils einschlägigen sektoralen Vorschriften. Diese tätigkeitsbasierten Regeln werden aber den vielfältigen Risiken eines Technologiekonzerns wie Amazon in zweierlei Hinsicht nicht gerecht. Erstens machen sie meist nur Vorgaben zu Geschäftsführung oder Verbraucherschutz. Umfassende Anforderungen an Eigenkapital, Liquidität und Risikomanagement stellen sie keine. Zweitens gelten sektorale Vorschriften immer nur für das Tochterunternehmen, das den jeweiligen Dienst anbietet – die Risiken des Gesamtkonzerns bleiben unberücksichtigt. Für Mischkonzerne sieht die europäische Richtlinie für Finanzkonglomerate zwar eine zusätzliche Gruppenaufsicht vor. Sie erstreckt sich aber nur auf „regulierte Unternehmen“ wie Banken, Versicherungen oder Wertpapierfirmen und greift auch nur dann, wenn mindestens ein Unternehmen im Versicherungssektor aktiv ist. Der Zuschnitt der Richtlinie aus dem Jahr 2002 passt damit auf klassische Finanzkonglomerate wie AXA oder Allianz. Bei Google & Co. läuft sie jedoch ins Leere.

Gruppenaufsicht über Big-Tech

Um die offene Flanke der europäischen Finanzmarktregulierung bei Big-Tech zu schließen, ist es an der Zeit, die Gruppenaufsicht fit für das digitale Zeitalter zu machen. Dazu muss die Richtlinie für Finanzkonglomerate an drei Stellen verbessert werden. Erstens muss die Definition eines „regulierten Unternehmens“ ausgeweitet werden, damit auch bedeutende Finanzdienstleister beaufsichtigt werden. Zweitens müssen alle denkbaren Kombinationen von Finanzaktivitäten erfasst werden, auch Konzerne ohne Versicherungsgeschäft gehören überwacht. Und drittens darf die Gruppenaufsicht keine Risiken ausblenden, die sich aus den nicht-finanziellen Geschäften des Konzerns ergeben. In ihrer Strategie für ein digitales Finanzwesen hat die EU-Kommission vor einem Jahr angekündigt, die Regeln für Finanzkonglomerate überprüfen zu wollen. Angesichts der Risiken von Big-Tech für die Finanzstabilität braucht es nicht weniger als eine Generalüberholung.

Image: CC Edho Pratama, Source: Unsplash