Veranstaltung
12.10.2023

Jean Pisani-Ferry und Sven Giegold über die wirtschaftlichen Auswirkungen des Klimaschutzes in Europa

Der französische Wirtschaftswissenschaftler und der deutsche Staatssekretär für Wirtschaft und Klimaschutz diskutierten ihre Ideen zur Finanzierung eines gerechten Wandels in Frankreich, Deutschland und Europa. 

Am 9. Oktober 2023 begrüßte das Jacques Delors Centre Jean Pisani-Ferry, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Sciences Po Paris und emeritierter Professor der Hertie School, und Sven Giegold, Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, zu einer öffentlichen Veranstaltung im Henrik Enderlein Forum der Hertie School. 

Johannes Lindner, Co-Direktor des Jacques Delors Centres, eröffnete den Abend mit der Vorstellung des viel diskutierten Berichts "The European Economic Implications of Climate Action" von Jean Pisani-Ferry, der im Mai 2023 veröffentlicht wurde. Die Diskussion wurde von der Journalistin Margaret Heckel moderiert.

Eine neue industrielle Revolution 

In seiner Eröffnungsrede betonte Jean Pisani-Ferry, dass der grüne Wandel einer industriellen Revolution gleichkomme und dass er in einem "absolut dramatischen" Tempo erfolgen müsse. Dieser Übergang wird auf drei Schlüsselmechanismen beruhen: der Effizienz des Verhaltens der Bürger, der Neuausrichtung des technologischen Fortschritts und der Substitution fossiler Brennstoffe durch Kapital. Diese Ansicht teilt auch Sven Giegold, der in seinen einleitenden Worten betonte, dass Europa "an einem wirtschaftlichen Scheideweg" stehe. Er erinnerte das Publikum daran, dass sich die Europäische Union mit der Verabschiedung mehrerer wichtiger Texte zum Green Deal bereits stark für den Klimaschutz engagiert hat. Seiner Ansicht nach bietet dieser Übergang auch eine Chance: "Wenn wir die ersten sind, werden wir auch die ersten Gewinner sein".

Hohe Investitionen auf kurze Sicht

Die Investitionen, die erforderlich sind, um diesen Übergang erfolgreich zu gestalten, sind beträchtlich, aber sie werden sich langfristig durch niedrigere Betriebskosten amortisieren, was "diesen Übergang einzigartig und langfristig vielversprechend, aber kurzfristig schmerzhaft macht", so Jean Pisani-Ferry. Die Art der Investitionen und der Anteil der öffentlichen Mittel sind je nach Sektor sehr unterschiedlich. Die jährlich erforderlichen zusätzlichen Investitionen sind beträchtlich, aber es gibt große Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern, je nach ihren Energiesystemen und anderen Faktoren. Sven Giegold wies darauf hin, dass "diese massiven Investitionen sich letztendlich positiv auf das Wirtschaftswachstum auswirken werden".

Wer sollte den Übergang finanzieren? 

Auch wenn private Investitionen erforderlich sein werden, betonte Jean Pisani-Ferry die Verantwortung der öffentlichen Akteure für die Unterstützung des grünen Übergangs. Die notwendigen Investitionen können nicht allein von den meisten Bürger:innen getragen werden: Die Investitionen in ein Elektroauto, eine neue Heizungsanlage oder eine Hausrenovierung übersteigen bei weitem das Jahreseinkommen der meisten Haushalte. Sowohl Jean Pisani-Ferry als auch Sven Giegold waren sich einig, dass die Frage der sozialen Akzeptanz aller Maßnahmen daher entscheidend für einen erfolgreichen Übergang sein wird.

Wie der Übergang finanziert werden soll

In seinem Bericht nennt Pisani-Ferry mehrere Möglichkeiten zur Finanzierung des grünen Übergangs, nämlich die Umschichtung von öffentlichen Ausgaben, Verschuldung und Besteuerung. Sven Giegold zufolge muss die Finanzierung auf europäischer Ebene organisiert werden, um eine wirksame Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten zu gewährleisten und den Binnenmarkt zu erhalten. Auf die Frage nach der Zukunft des Green Deal betonte der ehemalige Europaabgeordnete: "Wir sind noch nicht am Ende des Green Deal. [...] Was wir brauchen, ist eine neue Phase: 'Grüne Industriepolitik'". Er betonte außerdem die Notwendigkeit, einen Teil der europäischen Ausgaben auf transformative Finanzierungen umzulenken. Diese Ansicht wurde von Jean Pisani-Ferry geteilt, der sagte, dass die Umlenkung der öffentlichen Ausgaben zwar notwendig sei, aber nicht ausreiche, um das erforderliche Investitionsniveau auf nationaler Ebene zu erreichen. In seinem Bericht schlägt er daher vor, neue Schulden zu machen, um bestimmte Sektoren zu unterstützen, die langfristig rentabel sind, und schlägt für Frankreich die Einführung einer neuen befristeten Steuer für die 10 % der reichsten Haushalte vor. Sven Giegold informierte die Zuhörer darüber, dass die deutsche Koalition anstelle der Einführung einer neuen Steuer auf indirekte Steuern setzt, zum Beispiel durch Emissionshandelssysteme. Beide Redner betonten, dass Regulierung und Preispolitik Hand in Hand gehen sollten, anstatt als Gegensätze gesehen zu werden.

 

Zur vollständigen Aufzeichnung der Veranstaltung: